Das zweite MRP-Wahlmodell von YouGov sieht sechs Parteien im Bundestag – Die Linke hat Chancen auf den Einzug über die Zweitstimmen und liegt in 2 Wahlkreisen vorn
Das Rennen um den Bundestag ist in Bewegung geraten: Friedrich Merz‘ Entscheidung, auch mit Hilfe von Stimmen der AfD Anträge und Gesetze im Bundestag verabschieden zu wollen, hat die Dynamik des Wahlkampfs verändert. Die Fragen, wie einerseits Deutschland in Zukunft mit dem Thema „Einwanderung“ umgehen soll und ob andererseits Parteien mit der AfD zusammenarbeiten sollen oder nicht, beschäftigen seitdem Wählerinnen und Wähler.
Das zweite MRP-Wahlmodell von YouGov zeigt den aktuellen Stand des Wahlkampfs auf Bundesebene und in jedem Wahlkreis in Deutschland, und wie sich das Rennen im Vergleich zum ersten Wahlmodell vom 16.01.2025 verändert hat.
So ist der Stand bei den Zweitstimmen auf Bundesebene:
Die CDU/CSU führt bei den Zweitstimmen aktuell mit 29 Prozent (-1 Prozentpunkt gegenüber dem ersten YouGov Wahlmodell). Die AfD kommt auf 20 Prozent (unverändert). Auf den Rängen drei und vier folgen die SPD mit 15 Prozent (-1 Prozentpunkt) und die Grünen mit 13 Prozent (-1 Prozentpunkt).
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW: 5 Prozent, -1 Prozentpunkt) und Die Linke (5 Prozent, +2 Prozentpunkte) würden aktuell mit Zweitstimmenanteilen von mehr als 5 Prozent in den Bundestag einziehen. Anders die FDP: Mit 4 Prozent (unverändert) würden die Freien Demokraten an der Fünf-Prozenthürde scheitern. Sonstige Parteien würden 8 Prozent der Zweitstimmen unverändert) auf sich vereinen.
Das YouGov Wahlmodell schätzt den Zweitstimmenanteil der Linken aktuell auf 5 Prozent. Damit würde die Partei über die Zweitstimmenergebnis in den Bundestag einziehen. Allerdings: Ein Zweitstimmenergebnis unter 5 Prozent ist weiterhin möglich. Die untere Grenze möglicher Zweitstimmenergebnisse schätzt das MRP-Modell aktuell auf 4 Prozent. Ein zweiter Weg in den Bundestag besteht für Die Linke in der Grundmandatsklausel: Sollte Die Linke 3 Wahlkreise gewinnen, würde sie mit ihrem Zweitstimmenergebnis in den Bundestag einziehen, selbst wenn sie die Fünf-Prozenthürde verfehlte. Deshalb hat die Partei die Mission „Silberlocke“ ausgerufen: Mit Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch möchten drei erfahrende und prominente Linke-Politiker 3 Wahlkreise direkt gewinnen.
Das MRP-Modell schätzt Ergebnisse auf Basis von Befragungsdaten, Daten zur Bevölkerungsstruktur und Ergebnissen früherer Wahlen. Die Ergebnisse sind mit Unsicherheit verbunden. Wir berichten deshalb hier, neben der zentralen Schätzung, auch die unteren und oberen Werte des Bereiches, in dem das MRP-Modell mögliche Ergebnisse für jede Partei schätzt. Wir weisen Dezimalstellen nur aus, wenn sie einen Unterschied für die Zusammensetzung des Bundestags machen.
So steht das Rennen um die Wahlkreise:
Das YouGov MRP-Wahlmodell zeigt die Wahlabsicht für die Erststimme in allen Wahlkreisen. Aktuell würde die CDU in 174 Wahlkreisen die meisten Erststimmen gewinnen. 146 dieser Wahlkreise liegen in westdeutschen Bundesländern, 1 Wahlkreis im Osten der Republik. Die CSU liegt aktuell in allen 47 Wahlkreisen in Bayern vorn. Die AfD führt in 48 Wahlkreisen – alle Wahlkreise liegen in ostdeutschen Bundesländern. Die SPD liegt momentan in 25 Wahlkreisen vorn – davon liegen 12 Wahlkreise in Nordrhein-Westfalen und 4 in Niedersachsen. Die Grünen haben momentan gute Chancen, 3 Wahlkreise zu gewinnen, nämlich Berlin (Wahlkreis 74: „Berlin-Mitte“ und Wahlkreis 82: „Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost“) und Baden-Württemberg (Wahlkreis 258: „Stuttgart I“). Die Linke liegt aktuell in zwei Wahlkreisen vorn und hat in drei weiteren gute Chancen.
So läuft die Mission „Silberlocke“:
Das YouGov Wahlmodell vom 16.01.2025 sah nur Gregor Gysi in seinem Wahlkreis vorn. Drei Wochen später hat sich das Bild geändert: Bodo Ramelow führt im umkämpften und prominent besetzten Wahlkreis 192 „Erfurt – Weimar – Weimarer Land II“ mit 26 Prozent hauchdünn mit 0,3 Prozentpunkten vor Alexander Claus (AfD) mit 26 Prozent. Carsten Schneider (SPD) käme auf 13 Prozent, Katrin Göring- Eckardt auf 7 Prozent der Erststimmen. Im Wahlkreis 83: „Berlin – Treptow-Köpenick“ führt weiterhin Gregor Gysi klar mit 35 Prozent vor Michael Gleichmann (AfD, 17 Prozent) und Dustin Hoffmann (CDU, 17 Prozent). Bleibt der Wahlkreis 14: „Rostock – Landkreis Rostock II“, in dem Dietmar Bartsch um ein Direktmandat kämpft. Aktuell würde Dietmar Bartsch 12 Prozent der Erststimmen gewinnen und läge damit hinter Steffi Burmeister (AfD, 25 Prozent), Katrin Zschau (SPD, 19 Prozent) und Michael Ebert (CDU, 19 Prozent) auf Rang vier.
Möglicherweise bekommen die „Silberlocken“ in ihrem Kampf um den Bundestagseinzug über die Grundmandatsklausel aus einem oder mehreren Wahlkreisen Unterstützung. In drei weiteren Wahlkreisen hat Die Linke gute Chancen, das Direktmandat zu gewinnen: Im Wahlkreis 152: „Leipzig II“ liegt Die Linke mit 22 Prozent aktuell nur einen Wimpernschlag hinter der CDU (ebenfalls 22 Prozent), die AfD kämpft mit 18 Prozent ebenfalls mit um den Wahlkreis. Im Berliner Wahlkreis 82: „Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost“ liegt Die Linke (20 Prozent) nur knapp hinter den Grünen (22 Prozent). Ebenfalls in Berlin im Wahlkreis 85: „Berlin-Lichtenberg“ liegt zwar die AfD mit 22 Prozent vorn, Die Linke (19 Prozent) und die CDU (18 Prozent) bleiben aber im Rennen.
Was das für mögliche Koalitionen heißt:
Auf Basis der zentralen Schätzung des YouGov Wahlmodells würden aktuell 6 Parteien in den Bundestag einziehen: CDU/CSU mit 207 Sitzen (-15 Sitze gegenüber dem ersten YouGov Wahlmodell), AfD mit 142 Sitzen (-4 Sitze), SPD mit 109 Sitzen (-6 Sitze), die Grünen mit 95 Sitzen (-6 Sitze), BSW mit 39 Sitzen (-6 Sitze) und Die Linke mit 37 Sitzen (+37 Sitze).
Wir haben in unserer Schätzung 1 Sitz für den Südschleswigschen Wählerverband (SSW) berücksichtigt.
Aktuell wäre eine Große Koalition möglich. Gemeinsam kämen CDU/CSU und SPD auf genau 316 Sitze - für eine Mehrheit im neuen Bundestag werden 316 Sitze notwendig sein. Eine schwarz-blaue Koalition zwischen CDU/CSU und AfD käme auf 349 Sitze und hätte eine deutliche Mehrheit. Für Schwarz-Grün und Rot-Grün würde es Stand heute jeweils nicht reichen: CDU/CSU und die Grünen kämen gemeinsam nur auf 302 Sitze, SPD und Die Grünen kämen gemeinsam nur auf 204 Sitze. Eine Rot-Rot-Grüne-Koalition aus SPD, Grünen und Die Linke (241 Sitze) hätte ebenfalls keine Mehrheit.
In diesen 56 Wahlkreisen ist es besonders knapp: Unser MRP-Wahlmodell weist aktuell 56 Wahlkreise als „Unentschieden“ aus – das bedeutet, dass der Vorsprung der bzw. des aktuell Führenden weniger als 5 Prozentpunkte beträgt.
44 der Wahlkreise, für die das MRP-Wahlmodell im Moment keine eindeutige Tendenz ausweist, liegen in den westdeutschen Bundesländern, 12 Wahlkreise in den ostdeutschen Bundesländern.
In 31 der Wahlkreise, für die das MRP-Wahlmodell aktuell keine klare Tendenz zeigt, liegt die CDU vorn, in 3 Wahlkreisen die AfD und in 18 Wahlkreisen die SPD. Alle 3 Wahlkreise, in denen die Grünen aktuell vorn liegen, und 1 Wahlkreis, in dem Die Linke führt, sind umkämpft. In diesen Wahlkreisen ist der Wahlkampf um die Erststimmen offen – die Entscheidung, wer den Wahlkreis gewinnen wird, fällt zwischen der Kandidatin oder dem Kandidaten zweier oder mehr Parteien.
Von den 31 Wahlkreisen, die umkämpft sind und in denen die CDU vorn liegt, ist die SPD die wichtigste Konkurrentin. Ihre Kandidatinnen und Kandidaten liegen in 24 dieser 31 Wahlkreise auf Rang zwei. In weiteren 4 Wahlkreisen ist die AfD Hauptkonkurrentin der CDU um das Direktmandat.
Und so läuft der Wahlkampf für die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten: Auch die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten kämpfen um die Erststimmen in ihren Wahlkreisen – zumindest Olaf Scholz, Friedrich Merz, Alice Weidel, Robert Habeck und Christian Lindner bewerben sich um ein Direktmandat.
Im Wahlkreis 61: „Potsdam – Potsdam-Mittelmark II – Teltow-Fläming II“ kämpft Olaf Scholz in einem hochkarätigen Kandidatinnen- und Kandidatenfeld um ein direktes Bundestagsmandat. Aktuell läge er mit 25 Prozent vor Tabea Gutschmidt (CDU, 22 Prozent) und Alexander Tassis (AfD, 19 Prozent). Annalena Baerbock (Die Grünen, 16 Prozent) liegt aktuell auf Rang 4, Linda Teuteberg (FDP, 3 Prozent) unter ferner liefen.
Friedrich Merz tritt im Wahlkreis 146: „Hochsauerlandkreis“ an. Das YouGov Wahlmodell schätzt einen klaren Sieg für ihn, aktuell würde er 44 Prozent der Erststimmen gewinnen. Dirk Wiese (SPD, 21 Prozent) und Bernhard Bühner (AfD, 16 Prozent) liegen abgeschlagen auf Rang zwei und drei.
Im Wahlkreis 293: „Bodensee“ führt aktuell Volker Mayer-Lay von der CDU mit 33 Prozent. Alice Weidel (20 Prozent) liegt auf Rang zwei vor den Kandidaten der SPD (16 Prozent) und den Grünen (15 Prozent) und hätte im Moment wenig Chancen, den Wahlkreis zu gewinnen.
Für Robert Habeck zeigt das YouGov Wahlmodell aktuell einen Erststimmenanteil von 20 Prozent im Wahlkreis 1: Flensburg“. Er läge damit hinter Petra Nicolaisen (CDU), die auf 29 Prozent kommt und knapp vor der Kandidatin der SPD, Johanna Selbert, mit 18 Prozent.
Christian Lindner stellt sich im Wahlkreis 99: „Rheinisch-Bergischer Kreis“ zur Wahl. Auch dieser Wahlkreis ist prominent besetzt: Caroline Bosbach, die Tochter von Wolfgang Bosbach, bewirbt sich hier für die CDU um das Direktmandat. Aktuell liegt sie mit 35 Prozent vorn, vor Hinrich Schipper (SPD, 19 Prozent), Maik Außendorf (Die Grünen, 18 Prozent) und Harald Weydel (AfD, 15 Prozent). Christian Lindner käme aktuell auf 5 Prozent.
Über das YouGov Wahlmodell
YouGov befragt laufend Bürgerinnen und Bürger zu Einstellungen, Verhalten, Trends – und auch zu ihrer Wahlabsicht. Das YouGov-Wahlmodell zeigt die politische Stimmung in Deutschland vor der Bundestagswahl 2025 auf Bundesebene, auf Landesebene und auf Ebene von Wahlkreisen.
Für das YouGov-Wahlmodell befragen wir täglich Mitglieder unseres Panels dazu,
- welche Kandidatin bzw. welchen Kandidaten welcher Partei sie mit ihrer Erststimme („Wahlkreisstimme“) und
- welche Partei sie mit ihrer Zweitstimme wählen würden,
wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre. Diese Befragungsdaten nutzen wir als Grundlage, um mit einem statistischen Modell (ein sog. Mehrebenen-Regressionsmodell mit Poststratifikation - MRP) die Wahlabsicht für Bundes-, Landes- und Wahlkreisebene zu schätzen. Für die Modellierung der Wahlabsicht auf Wahlkreisebene verwenden wir Strukturdaten von microm Micromarketing-Systeme und Consult GmbH.
Erfahren Sie hier mehr zu unserem methodischen Vorgehen.
Das YouGov Wahlmodell zur Bundestagswahl 2025 finden Sie hier.
Hinweis - Die Datenerhebung für das YouGov Wahlmodell begann, bevor die Kandidatenlisten in den Wahlkreisen endgültig feststanden. Aus diesem Grund kann es vorkommen, dass Erststimmenanteile auch auf Parteien projiziert werden, für die keine Kandidatin oder Kandidaten in einem Wahlkreis antritt. Dies sollte bei der Interpretation der Erststimmenanteile berücksichtigt werden. Unser finales MRP-Wahlmodell wird für jeden Wahlkreis berücksichtigen, für welche Parteien tatsächlich Kandidatinnen oder Kandidaten antreten.
Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++