Häufig spricht man mit Blick auf die Parteien und deren politischen Positionen bei Fragestellungen über eine Einordnung in links und rechts. Eine solche Einteilung ist hilfreich, um politisches Denken zu verstehen, wird aber gleichzeitig der in vielerlei Hinsicht komplexen Wirklichkeit nicht ausreichend gerecht. YouGov-Daten zeigen, was Wählerinnen und Wähler der verschiedenen Parteien in Deutschland kurz vor der Bundestagswahl am 23.02.2025 zu grundlegenden Fragestellungen denken, bei welchen Themen sich etwa Wählerinnen und Wähler unterscheiden und wo traditionelle Lagerlogiken nicht (mehr) funktionieren.
Migration als Hauptstreitthema des Wahlkampfs trennt zwischen einem progressiven und einem konservativen Lager
Während zwar aktuell insgesamt eine große Befürwortung für migrationskritische Politiken in Deutschland besteht (siehe: YouGov Sonntagsfrage 05. Februar 2025) und das Thema seit Monaten als das wichtigste Thema genannt wird, um das sich Politikerinnen und Politiker derzeit kümmern sollten, wird hier ein deutlicher Unterschied zwischen zwei gesellschaftlichen Lagern deutlich: Auf der einen Seite findet sich das gesellschaftspolitisch eher progressive Lager, zu dem gemeinhin SPD, Grüne, FDP und Linke gezählt werden. Auf der anderen Seite das gesellschaftspolitisch eher konservative Lager, welches CDU/CSU und im weiteren Sinne auch die AfD umfasst. Auch das BSW, das zum ersten Mal bei einer Bundestagswahl antritt, ist bei gesellschaftspolitischen Themen eher dem konservativen Lager zuzuordnen und vertritt beim Thema Migration deutlich konservative Positionen.
Unter Befragten, die angeben, bei der nächsten Wahl die AfD wählen zu wollen, ist die Befürwortung für die Zurückweisung von Migrantinnen und Migranten an der deutschen Grenze besonders ausgeprägt (84 Prozent). Auch unter Personen, die für die Union (71 Prozent) oder das BSW (70 Prozent) stimmen wollen, besteht eine hohe Befürwortung für die Zurückweisung von Migrantinnen und Migranten an der Grenze. Unter Befragten hingegen, die für die Grünen oder die Linke stimmen wollen, befürwortet jeweils nur rund ein Viertel diesen Vorschlag (Grüne: 26 Prozent, Linke: 24 Prozent).
Interessant ist hier der Blick auf Anhängerinnen und Anhänger der SPD: Mit 42 Prozent stimmen mehr potentielle SPD-Wählerinnen und -Wähler der Abweisung von Migrantinnen und Migranten an der Grenze zu als nicht zu (37 Prozent). Damit bewegen sich die Wählerinnen und Wähler der SPD beim Thema Migration tendenziell weg von der traditionell eher progressiven Position der Partei bei diesem Thema.
Bei der Frage, ob das Vorhandensein verschiedener Kulturen Deutschland eher bereichert oder ob das Gegenteil der Fall ist, zeigt sich ein ganz ähnliches Bild. Unter Befragten, die für die AfD stimmen wollen, geben drei Viertel (76 Prozent) an, dass Multikulturalismus Deutschland schlechter macht. Bei Personen, die die Union wählen, ist diese Meinung nicht ganz so stark ausgeprägt, aber trotzdem gibt auch hier ein größerer Teil an, dass die Existenz vieler Kulturen für Deutschland schlecht sei (40 Prozent vs. 27 Prozent besser). Unter Befragten, die die Grünen oder die Linke wählen wollen, finden jeweils rund sieben von zehn Personen, dass Multikulturalismus Deutschland besser macht (Grüne: 70 Prozent, Linke: 69 Prozent; Vergleich SPD: 51 Prozent).
Die Befragten mussten bei dieser Umfrage bei jedem Item zwischen den beiden Gegenpositionen, einer mittleren Option „weder noch“ oder der Ausweichkategorie „Weiß nicht“ wählen. Die Fallzahl der Wählergruppe der FDP ist für eine Auswertung nicht ausreichend groß und kann deshalb bei dieser Analyse nicht berücksichtigt werden.
Mehrheit in Deutschland für Queer-Rechte, Wählerinnen und Wähler von Union und BSW vergleichsweise ablehnender
Mit Ausnahme von Wählerinnen und Wählern der AfD unterstützt die Mehrheit der Deutschen die Rechte von queeren Menschen, wie etwa die gleichgeschlechtliche Ehe. Unter Personen, die für die AfD stimmen würden – deren Spitzenkandidatin offen in einer homosexuellen Beziehung lebt – geben nur 48 Prozent an, dass gleichgeschlechtliche Paare heiraten sollen dürfen. Knapp ein Drittel (32 Prozent) ist dagegen, und 20 Prozent legen sich nicht auf eine der beiden Positionen fest. Wählerinnen und Wähler der Union und BSW fallen, im Vergleich zu den übrigen Parteien, durch relativ hohe Ablehnungswerte auf (Union: 17 Prozent, BSW: 13 Prozent; vgl. Die Grünen: 4 Prozent, SPD: 6 Prozent), aber auch unter Anhängerinnen und Anhängern dieser beiden Parteien sind jeweils sieben von zehn Befragten für die gleichgeschlechtliche Ehe (Union: 70 Prozent, BSW: 72 Prozent).
Bei der Frage danach, ob Trans*-Menschen in Deutschland legal ihr Geschlecht ändern dürfen sollten, ist ein ähnliches Muster zu erkennen: Große Zustimmung unter Wählerinnen und Wählern der Grünen (80 Prozent) und Linken (78 Prozent), deutlich abgeschwächt, aber dennoch mehrheitliche Zustimmung unter Wählerinnen und Wählern der SPD (64 Prozent). Personen, die ihre Stimme der AfD geben wollen, sind klar dagegen (51 Prozent Ablehnung, 23 Prozent Zustimmung). Potentielle Wählerinnen und Wähler der Union und des BSW befinden sich mit einer größeren Zustimmung als Ablehnung dazwischen, dennoch findet jeweils rund ein Viertel der Wählenden dieser beiden Parteien (Union: 25 Prozent, BSW: 29 Prozent), dass Trans*-Personen ihr Geschlecht nicht legal sollten ändern dürfen. In Bezug auf das BSW wird somit auch bei gesellschaftspolitischen Fragestellungen besonders in Abgrenzung zur Linken eine deutlich konservativere Einstellung deutlich.
Klare Abgrenzung zwischen AfD und BSW bei sozioökonomischen Fragestellungen
Betrachtet man statt gesellschaftspolitischer Themen ökonomische Fragestellungen, verschiebt sich das Bild, und die Lager setzen sich anders zusammen. Zwar sind bei der Frage danach, ob Reiche in Deutschland stärker besteuert werden sollten als Normalverdiener, die Einstellungen der Wählergruppen von traditionell wirtschaftlich eher links stehender Parteien eindeutig. Jeweils zwischen acht und neun von zehn Befragten, die bei der nächsten Bundestagswahl für SPD (83 Prozent), Grüne (87 Prozent) oder Linke (89 Prozent) stimmen wollen, sprechen sich für eine stärkere Besteuerung der Reichen aus. Es sprechen sich aber auch Befragte, die für das Bündnis Sarah Wagenknecht stimmen wollen, mit einer klaren Mehrheit dafür aus (84 Prozent). In diesem Punkt wird somit erstens eine klare Abgrenzung des BSW zur AfD deutlich – denn hier findet nur rund die Hälfte der Befragten (51 Prozent), dass Reiche stärker besteuert werden sollten – und zweitens wird damit die linke ökonomische Ausrichtung der Partei offenbar. Im Gegensatz zu gesellschaftspolitischen Fragestellungen sind die BSW-Wählerinnen und -Wähler bei ökonomischen Fragestellungen im Spektrum der ökonomisch eher links eingestellten Parteien zu verorten.
Unter Wählerinnen und Wählern der CDU/CSU sprechen sich immerhin 67 Prozent für höhere Steuersätze für Reiche aus – mit 18 Prozent sagen nach Wählerinnen und Wählern der AfD (25 Prozent) jedoch im Wählergruppenvergleich die meisten Personen, dass Reiche sogar gleich hohe oder niedrigere Steuersätze als Normalverdiener erhalten sollten.
Wenn es um konkrete Umverteilung von Einkommen von Bessergestellten zu weniger Wohlhabenden geht, stuft sich die Zustimmung allerdings auch im Lager der traditionell ökonomisch eher links gerichteten Parteien deutlich ab. Während unter potentiellen Linke-Wählerinnen und -Wählern eine solche Umverteilung sieben von zehn Personen (73 Prozent) befürworten, tun dies unter Grünen- und BSW-Wählerinnen und -Wählern nur jeweils ca. sechs von zehn Personen (Grüne: 62 Prozent, BSW: 59 Prozent). Hier zeigt sich also u.a. ein Unterschied zwischen den Linken und Anhängern des BSW, das sich im letzten Jahr von der Linkspartei abgespalten hatte. Unter Befragten, die für die SPD stimmen wollen, befürwortet etwas mehr als die Hälfte (55 Prozent) eine solche Umverteilung, jeder und jede Fünfte (19 Prozent) spricht sich dagegen aus. Die klassische „Links/Rechts“-Einteilung funktioniert an dieser Stelle also nur mit Abstrichen. Unter Wählerinnen und Wählern der Union und AfD sprechen sich mit jeweils 37 Prozent mehr Menschen dagegen als dafür aus.
Wählerinnen und Wähler von Union und AfD einig beim Punkt Sozialleistungen, unterschiedliche Einstellungen bei Wählerinnnen und Wählern von BSW und Linke
Auch in Bezug auf Sozialleistungen in Deutschland sind sich Wählerinnen und Wähler der CDU/CSU und AfD grundsätzlich einig: Jeweils mehr als drei von fünf Befragten finden, dass die Sozialleistungen zu hoch sind (Union: 64 Prozent, AfD: 61 Prozent). Unter Befragten, die für das BSW stimmen wollen, sieht das knapp die Hälfte so (47 Prozent), knapp ein Drittel (32 Prozent) hält die Sozialleistungen dagegen derzeit für zu niedrig. Damit ist auch an dieser Stelle ein Unterschied zwischen BSW und Linke zu beobachten: Unter Wählerinnen und Wählern der Linken geben 44 Prozent an, die Sozialleistungen in Deutschland seien derzeit zu niedrig.
Generell besteht bei diesem Thema Uneinigkeit innerhalb des Spektrums der traditionell wirtschaftlich links eingestellten Parteien. Unter Befragten, die für die SPD stimmen wollen, halten etwa jeweils drei von zehn Befragten die Sozialleistungen derzeit für zu hoch (31 Prozent), zu niedrig (30 Prozent) oder für weder zu hoch noch zu niedrig (32 Prozent), was bedeuten kann, dass progressiv Wählende nicht unbedingt die Höhe aber die Ausgestaltung der Sozialausgaben in Frage stellen.
Klare Unterschiede innerhalb der Parteien des linken Spektrums bei der Frage zur Unterstützung der Ukraine
Ein Punkt, der vor allem die Wählerinnen und Wähler der Grünen und der Linken voneinander unterscheidet, ist die Einstellung zur Aufrüstung allgemein und zur militärischen Unterstützung der Ukraine im Besonderen. Während unter Personen, die angeben, ihre Stimme den Grünen geben zu wollen, 58 Prozent finden, Deutschland sollte mehr Geld für Aufrüstung ausgeben (10 Prozent weniger Geld, 19 Prozent weder noch, 13 Prozent „Weiß nicht“), vertreten unter potentiellen Linken-Wählerinnen und -Wählern nur 31 Prozent diese Position. 44 Prozent finden, Deutschland sollte weniger Geld für Aufrüstung ausgeben – der höchste Wert im Vergleich der Wählergruppen.
Passend zum Narrativ der Grünen in Bezug auf die Ukraine und die Sicherung des Friedens in Europa, unterstützen 63 Prozent der potentiellen Grünen-Wählerinnen und -Wähler die Position, Deutschland solle die Ukraine militärisch unterstützen, bis Russland sich vollständig aus den ukrainischen Gebieten zurückgezogen hat, auch wenn dies eine Verlängerung des Krieges bedeute. Im Vergleich der Wählergruppen ist dies der höchste Wert. Unter Personen, die für die Linke stimmen wollen, ist nur ein Viertel (25 Prozent) dieser Meinung, 47 Prozent sprechen sich dafür aus, Deutschland solle sich für einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen einsetzen, auch wenn Russland dadurch die Kontrolle über Teile der Ukraine behält.
Nach den Grünen kommt mit etwas Abstand die größte Unterstützung für eine anhaltende militärische Unterstützung der Ukraine von Wählerinnen und Wählern der SPD (41 Prozent) und der Union (39 Prozent), auch wenn das Thema hier deutlich polarisiert (Gegenposition SPD: 37 Prozent, Union: 40 Prozent). Unter Wählerinnen und Wählern der AfD ist nur jeder und jede Zehnte (10 Prozent) für die andauernde Unterstützung der Ukraine, 77 Prozent lehnen diese ab.
Klima spaltet gesellschaftspolitisch eher progressiv eingestelltes Lager und polarisiert vor allem unter Unions-Wählerinnen und -Wählern
Neben Migration, sozioökonomischen und gesellschaftspolitischen Fragestellungen ist auch der Bereich Klimaschutz ein Thema, bei dem die Unterschiede der Wählergruppen deutlich werden. Vor allem Unterschiede zwischen Linke- und BSW-Wählerinnen und -Wählern, aber auch zwischen Grünen- und SPD-Wählerinnen und -Wähler werden bei der Fragestellung, ob die Regierung bisher zu viel oder nicht genug getan hat, um die CO2-Emissionen in Deutschland zu senken, deutlich.
Knapp vier von fünf Personen (78 Prozent), die ihre Stimme den Grünen geben würden, finden, dass die Regierung bisher nicht genug getan habe, um die CO2-Emissionen in Deutschland zu reduzieren. Ähnlich sehen das nur Befragte, die für die Linke stimmen würden, mit 61 Prozent Zustimmung. Befragte, die für den Ampelkoalitionspartner der Grünen, die SPD, stimmen wollen, haben eine andere Meinung: Zwar finden auch hier 46 Prozent, dass die Regierung nicht genug getan habe, vier von zehn Befragten (39 Prozent) wollen sich jedoch nicht auf eine der beiden Positionen festlegen („Weder noch“ + „Weiß nicht“).
Unter Wählerinnen und Wählern des BSW sagen 31 Prozent die Regierung habe zu wenig getan, um die CO2-Emissionen zu begrenzen, 28 Prozent sind dagegen der Meinung, die Regierung habe sogar zu viel getan. Am stärksten vertreten die Position, die Regierung habe bereits zu viel getan, um die CO2-Emissionen in Deutschland zu reduzieren, potentielle Wählerinnen und Wähler der AfD (57 Prozent), aber auch unter Unions-Wählerinnen und -Wählern teilen 31 Prozent diese Meinung (vs. 34 Prozent „nicht genug“ und 26 Prozent „weder noch“). Wählerinnen und Wähler der CDU/CSU sind sich bei diesem Thema also am stärksten uneinig.
Methodischer Hinweis:
Diese Umfrage wurde von YouGov Deutschland als Eigenstudie auf Basis des YouGov Omnibus Politik durchgeführt. Die Daten dieser Befragung basieren auf Online-Interviews mit Mitgliedern des unternehmenseigenen YouGov Panels. Die Mitglieder des Panels haben der Teilnahme an Online-Interviews zugestimmt. Für diese Befragung wurden im Zeitraum 07. bis 10.02.2025 insgesamt 2.416 Personen in einer repräsentativen Stichprobe, quotiert nach Alter, Geschlecht, Region, Wahlverhalten, Bildung und politisches Interesse, befragt. Die Stichprobe bildet die Wahlberechtigten Deutschlands ab 18 Jahren hinsichtlich dieser Quotenmerkmale ab
Foto: Marion Van Der Kraats/dpa +++ dpa-Bildfunk +++