Wie die Deutschen zu einem System stehen, das Daten sammelt und darauf aufbauend gutes Verhalten belohnt und schlechtes bestraft, hat YouGov in Kooperation mit dem SINUS-Institut in einer repräsentativen Studie erhoben.
Die deutliche Mehrheit der Deutschen (68 Prozent) lehnt ein „Social-Credit-System“ wie es die chinesische Regierung 2020 landesweit im bevölkerungsreichsten Land der Erde einführen möchte ab, lediglich jeder Sechste (17 Prozent) befürwortet solch ein soziales Bewertungssystem. Mehr Anklang findet hingegen die dahinterliegende Idee der Bewertung sozialen Verhaltens: 40 Prozent der Deutschen fänden es gut, wenn sie das Verhalten der Menschen in ihrem Umfeld positiv oder negativ bewerten könnten. Fast genauso viele (39 Prozent) haben auch kein Problem damit, wenn sie selbst durch Andere bewertet würden. Das zeigen Ergebnisse einer Umfrage des internationalen Marktforschungs- und Beratungsinstituts YouGov in Kooperation mit dem SINUS-Institut.
Die Jüngeren stehen „Social Scoring“ am skeptischsten gegenüber
Im Altersvergleich steht die junge Generation (18 bis 24 Jahre) der Vorstellung sozialer Kontrolle kritischer gegenüber. In dieser Gruppe fänden es nur 30 Prozent gut, ihren Mitmenschen Punkte für soziales Verhalten zu geben. Die höheren Altersgruppen sind der Idee gegenüber positiver eingestellt (25 bis 34 Jahre: 41 Prozent, 35 bis 44 Jahre: 38 Prozent, 45 bis 54 Jahre: 41 Prozent, 55 Jahre und älter: 42 Prozent).
Die Meinung zu sozialer Kontrolle hängt von der Lebenseinstellung ab
Inwiefern die Einstellung, Andere aufgrund ihres Verhaltens mit Punkten zu bewerten, lebensweltlich geprägt ist, erläutert Manfred Tautscher, Geschäftsführer des SINUS-Instituts, am Beispiel der Sinus-Milieus®: „Dieses Konzept findet mit 46 Prozent im Milieu der Performer den größten Anklang. Diese wirtschaftsnahe und effizienzgetriebene Leistungselite ist äußerst fortschrittsoptimistisch und schätzt es sehr, wenn das Leben durch technischen Fortschritt vereinfacht wird. Den geringsten Zuspruch erfährt dieses Instrument hingegen mit 28 Prozent im Milieu der Sozialökologischen. Diese engagierten Gesellschaftskritiker erkennen zwar die Chance, andere zu besseren Menschen zu ‚erziehen‘, die Angst vor totaler Überwachung ist jedoch größer.“
Jeder Sechste befürwortet Bestrafung von „schlechtem“ Verhalten
Angenommen es gäbe ein soziales Bewertungssystem nach chinesischem Vorbild in Deutschland, ist jeder sechste Deutsche (18 Prozent) der Ansicht, Menschen mit niedriger Punktzahl sollten gewisse staatliche oder privatwirtschaftliche Leistungen nicht mehr in Anspruch nehmen können bzw. bestraft werden. Doch welche Strafen finden die Befürworter angemessen? Am offensten stehen die Deutschen der Möglichkeit gegenüber, dass Unternehmen Kunden mit schlechtem Ranking ablehnen können (36 Prozent). Höhere Steuern (33 Prozent) und Geldstrafen (32 Prozent) finden sich an zweiter und dritter Stelle der von den Befürwortern einer Bestrafung präferierten Sanktionen. Die deutliche Mehrheit (70 Prozent) spricht sich gegen eine derartige Sanktionierung im Falle niedriger Punktzahlen aus.
Ein Viertel befürwortet Belohnung von „gutem“ Verhalten
Die Belohnung von gutem Verhalten in einem solchen Bewertungssystem wird von einem etwas höheren Anteil der Deutschen (25 Prozent) befürwortet, z.B. schnellerer Zugang zu Konsumkrediten, Beförderungen, Bearbeitung von Amtsvorgängen, bessere Bildungschancen, etc. Jedoch lehnt eine deutliche Mehrheit (64 Prozent) auch eine Bevorteilung von Personen mit hohem Punktestand ab.
Deutsche sehen in „Social Scoring“ eher für sich persönlich Vorteile als für die Gesellschaft
Bei der Einschätzung, ob ein soziales Bewertungssystem in Deutschland eher für einen selbst oder die Gesellschaft von Vorteil wäre, ist knapp ein Viertel (23 Prozent) der Befragten der Ansicht, dass sie persönlich von solch einem System profitieren würden. Vorteile für die Gesellschaft als Ganzes sieht hingegen nur jeder Zehnte (10 Prozent). 43 Prozent geben an, dass ein soziales Bewertungssystem in Deutschland gesamtgesellschaftlich Nachteile brächte, aber nur mehr als jeder Vierte (27 Prozent) sieht für sich persönliche Nachteile.
Befürchtete Nachteile: Falschbewertungen, Misstrauen und Rufschädigung
Auf die Frage, welche Nachteile ein Social-Credit-System mit sich bringen könnte, sehen 61 Prozent inkorrekte Bewertungen als die größte Gefahr. 55 Prozent geben an, dass sich das Misstrauen der Bevölkerung untereinander nachteilig auswirken kann. Die Hälfte (50 Prozent) sieht eine potenzielle langfristige Stigmatisierung und die Rufschädigung durch die Speicherung negativer Daten als Nachteil. Lediglich 24 Prozent sehen Konformität oder Gleichschaltung als Nachteil und 6 Prozent sehen keine Nachteile eines solchen Systems.
Erwartete Vorteile: Moralisch besseres Verhalten, harmonischeres Miteinander und mehr Fairness
Nach den direkten Vorteilen gefragt, sieht mehr als ein Drittel der Befragten (39 Prozent) keine Vorteile in einem System zur Bewertung des Sozialverhaltens. Am häufigsten wird moralisch besseres Verhalten (31 Prozent) erwartetet. Ein Viertel (24 Prozent) erkennt „Social Scoring“ als Chance für ein harmonischeres Miteinander. Jeder Fünfte (20 Prozent) denkt, dass es mehr Fairness in der Gesellschaft geben könnte.
Österreich denkt positiver über “Social Scoring“
Österreicher erwarten durch „Social Scoring“ wesentlich häufiger persönliche Vorteile als die Deutschen (54 Prozent in Österreich vs. 23 Prozent in Deutschland). Das hat INTEGRAL Marktforschung repräsentativ für Österreich herausgefunden. Zudem befürworten unsere Nachbarn Bestrafungen von Personen mit niedriger Punktzahl stärker als dies Deutsche tun (29 Prozent in Österreich vs. 18 Prozent in Deutschland).
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Über die Studie
Die verwendeten Daten beruhen auf einer Online-Umfrage der YouGov Deutschland GmbH in Kooperation mit der SINUS Markt-und Sozialforschung GmbH, an der 2.036 Personen zwischen dem 24. und 29.01.2019 teilnahmen. Die Ergebnisse wurden gewichtet und sind repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren.
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