YouGov-Umfrage aus dem August 2024 unter Wahlberechtigten in Sachsen, Thüringen und Brandenburg anlässlich der anstehenden Landtagswahlen im September
Das erst im Januar dieses Jahres gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kann bereits auf eine erfolgreiche Geschichte zurückblicken: Bei der Europawahl erreichte die noch junge Partei „aus dem Stand“ 6,2 Prozent der Stimmen. Dabei überzeugte es besonders in Ostdeutschland und erreichte hier sogar einen Wert von 13,8 Prozent. Auch mit Blick auf die kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen kann das BSW laut aktueller Wahlprognosen mit ähnlichen oder sogar höheren Ergebnissen rechnen. Doch wer sind die Menschen eigentlich genau, die das BSW im Osten anspricht – und welche politischen Einstellungen hat diese Wählerschaft? Die Ergebnisse einer aktuellen YouGov-Umfrage, durchgeführt zwischen dem 9. und 16. August 2024 unter 1.898 wahlberechtigten Personen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen geben wertvolle Einblicke über diejenigen, die bei den kommenden Landtagswahlen vorhaben, dem Neuling in der deutschen Parteienlandschaft ihre Stimme zu geben.
Sahra Wagenknecht überzeugt – vor allem bei Frauen und Älteren
Eines steht fest in Bezug auf diejenigen, die angeben, bei den kommenden Landtagswahlen BSW wählen zu wollen (im Folgenden abgekürzt als „BSW-Anhängerschaft“, „BSW-Wählerschaft“ oder „BSW-Sympathisanten“): Sie sind überzeugt von der Person Sahra Wagenknecht. 97 Prozent der Befragten in dieser Gruppe geben an, eine sehr (61 Prozent) oder eher (36 Prozent) positive Meinung von ihr zu haben. Dies deutet darauf hin, dass die Einschätzung vieler Beobachterinnen und Beobachter nicht von der Hand zu weisen ist, der „Personenfaktor Wagenknecht“ sei entscheidend für den Erfolg der jungen Partei.
Grundsätzlich aber scheint das BSW vor allem bei älteren Wählerinnen und Wählern gut anzukommen: Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung zeichnet sich die BSW-Anhängerschaft in den befragten drei Bundesländern durch eine etwas ältere Altersstruktur aus. Drei von fünf (59 Prozent) BSW-Anhängerinnen und -Anhängern sind über 60 Jahre alt. In der Gesamtbevölkerung der drei Bundesländer liegt dieser Wert dagegen bei 42 Prozent. Die mittlere und die jüngere Altersgruppe sind unter den BSW-Sympathisantinnen und -Sympathisanten dagegen unterrepräsentiert. Etwa ein Viertel (27 Prozent) ist zwischen 40 und 59 Jahre alt, in der Gesamtbevölkerung ist es dagegen ein Drittel (32 Prozent). Im Alter zwischen 18 und 39 Jahren sind in der betrachteten Gruppe dagegen nur 14 Prozent – das sind etwa 10 Prozentpunkte weniger als in der Gesamtbevölkerung (26 Prozent). Außerdem ist das BSW in den betrachteten Bundesländern etwas beliebter bei Frauen als bei Männern: 59 Prozent der betrachteten BSW-Wählerschaft sind weiblich, während 41 Prozent männlich sind (Gesamtbevölkerung: 49 Prozent Männer, 51 Prozent Frauen).
In Bezug auf den Schulabschluss fällt auf, dass innerhalb der BSW-Anhängerschaft etwas seltener eine hohe Schulbildung (Fach)-Hochschulreife) vorkommt als in den drei Bundesländern in der Gesamtbetrachtung (28 Prozent vs. 34 Prozent Gesamt). Gleichzeitig ist unter jenen mit BSW-Wahlabsicht ein mittlerer Schulabschluss (Realschulabschluss oder gleichwertiger Abschluss, z.B. POS) weiter verbreitet als in der Gesamtbevölkerung der drei Bundesländer insgesamt (65 vs. 57 Prozent Gesamt).
Große politische Unzufriedenheit und Eindruck von Benachteiligung Ostdeutscher
Die Anhängerinnen und Anhänger des BSW blicken mit großer Unzufriedenheit auf die aktuelle politische Lage in Deutschland: 97 Prozent der Befragten sind (eher) unzufrieden mit der Ampelregierung. 82 Prozent sind außerdem (eher) unzufrieden mit der Demokratie, so wie sie gerade in Deutschland besteht.
Auch das Vertrauen der BSW-Anhängerschaft in demokratische Institutionen ist schwach: Weitaus mehr als die Hälfte der Befragten in dieser Gruppe vertraut jeweils (eher) nicht: der Bundesregierung (84 Prozent), politischen Parteien (82 Prozent), dem Bundestag (81 Prozent) und den Institutionen der EU (75 Prozent). Auch in der Gesamtbevölkerung der drei Bundesländer herrscht diese Unzufriedenheit, allerdings in etwas abgeschwächter Form: 82 Prozent aller Befragten sind hier (eher) unzufrieden mit der Ampelregierung und 68 Prozent (eher) unzufrieden mit der Demokratie, so wie sie gerade in Deutschland besteht.
Weiterhin zeigen sich in der BSW-Anhängerschaft Hinweise auf Politikverdrossenheit und eine hohe Zustimmung für populistische Aussagen. Auch hier hebt sich diese Gruppe von der Gesamtbevölkerung in den drei befragten Bundesländern ab. So stimmen 83 Prozent der Befragten (eher) zu, dass Leute wie sie keinen Einfluss darauf hätten, was die Regierung mache, während der Anteil in der Gesamtbevölkerung in den drei Bundesländern bei 72 Prozent liegt. Zudem findet mit 95 Prozent eine große Mehrheit der Befragten in dieser Gruppe (eher), Politikerinnen und Politiker würden zu viel reden und zu wenig handeln (Gesamtbevölkerung: 86 Prozent).
Die große Unzufriedenheit der BSW-Wählerinnen und -Wähler in den drei betrachteten Bundesländern bezieht sich auch auf die Wahrnehmung ihres Lebens in Ostdeutschland. Rund zwei Drittel (67 Prozent) stimmen (eher) zu, die Lebensbedingungen im Westen seien deutlich besser als im Osten. Außerdem sind je 85 Prozent (eher) der Ansicht, Ostdeutsche hätten sowohl nach der Wiedervereinigung als auch heutzutage Nachteile gegenüber Westdeutschen (gehabt). Auch sehen sich die hier befragten ostdeutschen BSW-Anhängerinnen und -Anhänger häufig Vorurteilen von Westdeutschen ausgesetzt: 87 Prozent stimmen (eher) zu, dass Westdeutsche negative Vorurteile gegenüber Ostdeutschen hätten. Damit liegen die Werte innerhalb der BSW-Wählerinnen und -Wähler über denen der Gesamtbevölkerung in den drei befragten Bundesländern: Dort ist der Wert jener, die (eher) an westdeutsche Vorurteile gegenüber Ostdeutschen glauben, etwa zehn Prozentpunkte geringer bei 77 Prozent.
Wie ist die Wählerschaft des BSW politisch einzuordnen? Wie stehen sie zu anderen Parteien?
Eine politische Einordnung des Bündnisses Sahra Wagenknechts fällt Beobachterinnen und Beobachtern auf den ersten Blick häufig schwer. Viele mit der Partei verbundene Gesichter, allen voran das von Parteigründerin und Namensgeberin Sahra Wagenknecht, standen vor kurzem noch für Namen und Inhalte der Linkspartei. Gleichzeitig positioniert sich die Partei in vielen, vor allem soziokulturellen Fragen, eher konservativ und nimmt beispielsweise eine migrationskritische Haltung ein. Unsere Umfrageergebnisse zeigen, wie sich die BSW-Anhängerschaft selbst politisch verorten würde.
Bittet man die betrachteten Wählerinnen und Wähler, ihre eigene politische Einstellung auf einer Skala von 1 bis 10, auf der 1 links und 10 rechts bedeutet, einzuordnen, sehen sich die BSW-Anhängerinnen und Anhänger schwerpunktmäßig (63 Prozent) in der Mitte (Skalenpunkte 4,5,6). Ein gutes Viertel (26 Prozent) der BSW-Anhängerschaft verortet sich dagegen eher links (Skalenpunkte 0,1,2,3), während 10 Prozent sich eher rechts sehen (Skalenpunkte 7,8,9,10).
Blickt man auf die Einstellung der BSW-Anhängerschaft zu den anderen Parteien zeigt sich zunächst eine deutliche Ablehnung der Grünen und der FDP: Jeweils mehr als neun von zehn Befragten in dieser Gruppe würden die Grünen (93 Prozent) oder die FDP (92 Prozent) sicher oder wahrscheinlich nicht bei einer Landtagswahl wählen. Auch eine Wahl der SPD würden vier von fünf BSW-Anhängerinnen und Anhängern (80 Prozent) (eher) ausschließen. Etwas geringer fällt die Ablehnung einer Wahl der Linkspartei (73 Prozent) und der AfD (68 Prozent) bei einer Landtagswahl aus. Hier könnte sich immerhin jeweils etwas mehr als ein Viertel (27 Prozent Linke, 28 Prozent AfD) der BSW-Anhängerschaft vorstellen, diese Partei einmal bei einer Landtagswahl zu wählen. Am wenigsten deutlich wird von den Wählerinnen und Wählern des BSW die CDU abgelehnt: Fast ein Drittel (32 Prozent) der BSW-Anhängerschaft kann sich die Wahl der Union auf Landesebene vorstellen.
Themen: Wählerschaft des BSW ist migrationskritisch und konservativ, gleichzeitig aber besorgt um ökonomisch-soziale Fragen
Das Thema Einwanderung und Asylpolitik wird mit Abstand am häufigsten (55 Prozent) als eines der drei aktuell wichtigsten Themen in Deutschland ausgewählt. Dieser Wert liegt leicht über dem der Gesamtbevölkerung in den drei befragten Bundesländern (50 Prozent). Nur innerhalb der Gruppe derjenigen, die bei den kommenden Landtagswahlen die AfD wählen wollen, ist dieser Wert höher (76 Prozent). Zu der Anhängerschaft der AfD mit Blick auf die Landtagswahlen im Osten haben wir vor kurzem einen Artikel veröffentlicht.
Auch bei einer genaueren Betrachtung der Einstellung zum Thema Zuwanderung unter den BSW-Anhängerinnen und -Anhängern zeigt sich ein zwar migrationskritisches, im Vergleich zu den AfD-Sympathisantinnen und -Sympathisanten jedoch gemäßigteres Bild: Die Mehrheit der BSW-Anhängerschaft (59 Prozent) sieht in der Zuwanderung eher eine Belastung für den deutschen Wohlstand (Vergleich AfD-Sympathisantinnen und -Sympathisanten: 81 Prozent). Nur rund jeder zehnte Befragte der BSW-Anhängerschaft (12 Prozent) ist eher der Meinung, Zuwanderung wäre wichtig, um Arbeitskräfte und Wohlstand zu sichern.
Neben diesem Themenkomplex sind der BSW-Anhängerschaft auch soziale Fragen – und damit klassisch linke Themen – wichtig. Als eines der drei wichtigsten Themen werden häufig die Themen Rente und Altersvorsorge (36 Prozent), Schere zwischen Arm und Reich (je 28 Prozent), sowie Wohnen und Miete (23 Prozent) ausgewählt.
Auch für eine Erhöhung des Mindestlohns sind viele BSW-Wählerinnen und -Wähler aufgeschlossen, allerdings weniger entschieden als Wählerinnen und Wähler der Grünen, der Linken und der SPD: Bittet man die BSW-Anhängerschaft, abzuwägen, ob eine Erhöhung vermieden werden sollte, um nicht der Wirtschaft zu schaden, oder aber eine Erhöhung angestrebt werden sollte, da der Mindestlohn auf aktuellem Stand nicht reiche, um die Lebenshaltungskosten zu decken, sprechen sich 45 Prozent für letztere Option aus. Der Wert für die Zustimmung zu einer Erhöhung des Mindestlohns ist höher in der Anhängerschaft der Linken (56 Prozent), der Grünen (54 Prozent) und der SPD (49 Prozent), und niedriger unter Wählerinnen und Wählern der CDU (43 Prozent) und der AfD (42 Prozent).
(Anmerkung: Die Gruppe derjenigen, die angeben, bei den kommenden Landtagswahlen die FDP wählen zu wollen, wurde hier und im weiteren Verlauf des Texts nicht berücksichtigt, da die Stichprobe deutlich unter 100 Personen umfasste.)
Kritische Haltung zum Thema Gendern
Der Bruch Sahra Wagenknechts mit der Linkspartei erfolgte unter anderem aus einer Abgrenzung zu sogenannten „Lifestyle-Linken“, (Wagenknecht-Zitat, Quelle: Tagesschau) heraus, welche aus Sicht Wagenknechts aktuelle Diskurse über Rechte gesellschaftlicher Minderheiten überbetonen würden. Die Meinung der BSW-Wählerinnen und -Wähler zu diesem Themenkomplex zeigt: Die aktuelle Form, über diese Themen zu diskutieren, gefällt vielen BSW-Anhängerinnen und -Anhängern nicht. Grundsätzlich scheint diese Ablehnung aber mehr der Sorge vor dem Verlust des gesellschaftlichen Zusammenhalt zu entspringen, als einer Angst vor Benachteiligungen der Mehrheit zugunsten gesellschaftlicher Minderheiten. So gibt etwa ein Drittel (31 Prozent) der BSW-Wählerschaft an, diese Diskussionen lenkten zu viel Aufmerksamkeit auf Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen, anstelle der Gemeinsamkeiten. Weitere 20 Prozent finden diese Diskussionen dagegen wichtig, um die Bedürfnisse verschiedener Gruppen zu berücksichtigen. Nur etwa jeder Zehnte (11 Prozent) innerhalb dieser Gruppe ist der Ansicht, dass durch solche Diskussionen Freiheiten der gesellschaftlichen Mehrheit übermäßig eingeschränkt würden.
In der oft kontrovers geführten Debatte um geschlechtergerechte Sprache herrscht in der Wählergruppe eine deutlich ablehnende Stimmung: 77 Prozent sind eher der Ansicht, geschlechtergerechte Sprache sei unnötig und schwer zu lesen, während nur 6 Prozent eher der Ansicht sind, sie schaffe Sichtbarkeit und verringere Diskriminierung.
BSW-Wählerschaft findet, deutsche Unterstützung der Ukraine geht zu weit
Das BSW profiliert sich außerdem durch eine starke Positionierung gegen Waffenlieferungen, zum Beispiel im Kontext des Ukrainekrieges. Jeweils drei Viertel der Wählerschaft des BSW ist der Meinung, die aktuelle deutsche Unterstützung der Ukraine gehe zu weit – sei es finanziell (75 Prozent) oder durch Waffenlieferungen (76 Prozent). Mehrheitlich wird hier ein anderes Vorgehen gewünscht: 65 Prozent meinen, dass die diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des Krieges nicht weit genug gehen.
Foto: Hannes P Albert/dpa +++ dpa-Bildfunk +++