YouGov-Studie zur aktuellen politischen Stimmung in Kooperation mit dem SINUS-Institut
Am 23. Februar wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Doch wen wünschen sich die Deutschen als Kanzlerin bzw. Kanzler, und wie bewerten sie die Kanzlerqualitäten der Spitzenkandidatinnen und -kandidaten? Wie viele Deutsche wissen schon, wie sie wählen werden, und welche Informationskanäle waren bei dieser Entscheidung dabei besonders hilfreich? Diesen und weiteren Fragen ist YouGov in Kooperation mit dem SINUS-Institut in einer repräsentativen Online-Befragung nachgegangen.
Weniger als einen Monat vor der Bundestagswahl zeichnet sich kein eindeutiger Favorit für das Kanzleramt ab. Wäre eine Direktwahl aus allen sechs Spitzenkandidatinnen und -kandidaten möglich, hieße der nächste Regierungschef knapp Friedrich Merz: 18 Prozent der Wahlberechtigten würden sich für den Spitzenkandidaten von CDU/CSU entscheiden. Dicht dahinter liegen Robert Habeck (Grüne) und Alice Weidel (AfD) mit jeweils 17 Prozent. Amtsinhaber Olaf Scholz (SPD) würde 12 Prozent der Stimmen erhalten, gefolgt von Sahra Wagenknecht (BSW) mit 6 Prozent und Christian Lindner (FDP) mit 4 Prozent. Bemerkenswert ist jedoch, dass sich die restlichen 18 Prozent der Wahlberechtigten explizit gegen alle genannten Kandidatinnen und Kandidaten entscheiden würden und 8 Prozent keine Angabe machen. In der Realität wird der Bundeskanzler jedoch nicht direkt gewählt, sondern von der Mehrheit der Abgeordneten des neuen Bundestags.
Die Ergebnisse zeigen, dass Olaf Scholz sich nicht auf einen Amtsbonus stützen kann. In der Konkurrenz mit Friedrich Merz und Robert Habeck um Wählerinnen und Wähler aus der Mitte des demokratischen Spektrums wäre er als Kandidat bei einer Direktwahl deutlich abgeschlagen. Allerdings: Friedrich Merz‘ Vorsprung als Kandidat ist fragil: In einer hypothetischen Wahl nur zwischen Friedrich Merz und Olaf Scholz schmilzt Merz‘ Vorsprung vor Scholz dramatisch. Vor diese Wahl gestellt, würden 36 Prozent Merz und 34 Prozent Scholz wählen. Ein weiteres Drittel (30 Prozent) weiß nicht, wie es sich entscheiden würde.
Zudem zeigt die Bewertung der Kanzlerqualitäten, dass keiner der Spitzenkandidatinnen und -kandidaten eine breite Mehrheit der Wahlberechtigten überzeugt. Auf die Frage, ob sie die einzelnen Bewerberinnen und Bewerber für das Amt der Bundeskanzlerin bzw. des Bundeskanzlers geeignet („voll und ganz“ oder „eher“) halten, bekommt die höchste Zuschreibung erneut Friedrich Merz (CDU) mit 40 Prozent. Olaf Scholz (SPD) folgt mit 33 Prozent, dicht dahinter Robert Habeck (Grüne) mit 31 Prozent. Alice Weidel erreicht 28 Prozent, Sahra Wagenknecht kommt auf 24 Prozent und Christian Lindner auf 19 Prozent.
Friedrich Merz spricht Männer eher an als Frauen: Männer (48 Prozent) halten ihn eher für geeignet als Frauen (34 Prozent). Ältere Wählerinnen und Wähler (60-69 Jahre: 45 Prozent, 70 Jahre und älter: 49 Prozent) sind eher davon überzeugt, dass Merz zum Kanzler geeignet ist als Wählerinnen und Wähler im jüngeren oder mittleren Alter (18-29 Jahre: 37 Prozent, 30-39 Jahre: 39 Prozent, 40-49 Jahre: 38 Prozent, 50-59 Jahre: 36 Prozent). Zudem ist Merz ein Kandidat der westdeutschen Bundesländer: Hier glauben 42 Prozent der Wählerinnen und Wähler, dass er das Zeug zum Kanzler hat, in den ostdeutschen Bundesländern sind es 36 Prozent.
Frieder Schmid, Account Director bei YouGov, ordnet die Ergebnisse ein: „Für Wählerinnen und Wähler ist Olaf Scholz der Kanzler der gescheiterten Ampel-Regierung. Er wird nicht als Führungspersönlichkeit wahrgenommen. Weil aber Friedrich Merz als Kandidat ebenfalls nicht überzeugen kann und Wählerinnen und Wähler aus zu vielen gesellschaftlichen Gruppen skeptisch sind, ob er sich als Kanzler eignet, kann er als Kandidat das Ampel-Aus nicht stärker für sich nutzen.“
Kandidatinnen und Kandidaten punkten in unterschiedlichen Milieus
Trotz der allgemein zurückhaltenden Bewertungen punkten die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten in unterschiedlichen Milieus in der Gesellschaft. Politische Einstellungen hängen dabei stärker mit Werten zusammen als mit soziodemografischen Faktoren. Das legt die Analyse im Gesellschaftsmodell der Sinus-Milieus offen, das die deutsche Bevölkerung auf Basis ihrer Werte, Lebensstile und der sozialen Lage in zehn „Gruppen Gleichgesinnter“ einteilt.
Dr. Silke Borgstedt, Geschäftsführerin des SINUS-Instituts, erläutert: „Friedrich Merz wird als Führungspersönlichkeit mit klar geäußerten Positionen wahrgenommen. Er spricht damit vor allem die strukturkonservative Elite (Konservativ-Gehobenes Milieu) sowie leistungsorientierte Fortschrittsoptimisten (Milieu der Performer) an. Auch in der modernen Mitte (Adaptiv-Pragmatisches Milieu), die auf der Suche nach Orientierung und Planbarkeit ist, kann er punkten. Amtsinhaber Olaf Scholz (SPD) erreicht in politikaffinen Milieus zwar überdurchschnittlichen Zuspruch, führt aber in keiner Gruppe. Zudem bleibt sein Profil im Vergleich zu seinen Mitbewerbern blass.“
„Robert Habeck überzeugt vor allem progressive Wählergruppen: In den Milieus der Postmateriellen, der Expeditiven und der Neo-Ökologischen genießt Habeck hohes Ansehen und gilt besonders dort als sympathischer und glaubwürdiger Politiker, der zu seinen Überzeugungen steht. Dort, wo Habeck kritisch gesehen wird, findet Alice Weidel (AfD) Zustimmung. Besonders in den transformations-erschöpften, (klein-)bürgerlichen Milieus der Nostalgisch-Bürgerlichen und der Prekären wird Weidel als Politikerin mit klaren Standpunkten wahrgenommen“, so Borgstedt weiter.
Wichtige Informationsquellen: Öffentlich-rechtliches Fernsehen, Wahlplakate und persönliche Gespräche – Soziale Medien bei Jüngeren relevant
Der Wahlkampf scheint allgegenwärtig – egal, ob in den Medien, auf der Straße oder im privaten Bereich. Doch wo haben die Wahlberechtigten in der letzten Zeit tatsächlich Informationen zur Bundestagswahl wahrgenommen, ohne gezielt danach zu suchen? Die am häufigsten genannte Informationsquelle ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen (51 Prozent), gefolgt von Wahlplakaten (49 Prozent) sowie persönlichen Gesprächen (z.B. mit Freunden, Familie, Bekannten, Kollegen) (44 Prozent). Dahinter folgen im mittleren Feld Zeitschriften / Zeitungen (33 Prozent), soziale Medien (29 Prozent), Radio (27 Prozent) und privates Fernsehen (26 Prozent). Am wenigsten relevant sind Online-Angebote, wie News-Portale oder Blogs (17 Prozent), politische Angebote (z.B. Veranstaltungen, Wahlkampfstand) (15 Prozent), Podcasts (9 Prozent) oder Gruppen / Kanäle in Messengern (z.B. WhatsApp, Telegram) (8 Prozent).
Dabei zeigt sich ein Alterseffekt: Während für über 50-Jährige das öffentlich-rechtliche Fernsehen die wichtigste passive Infoquelle ist, rücken bei unter 30-Jährigen soziale Medien weit nach vorne. Dr. Silke Borgstedt ordnet ein: „Gerade junge Menschen nutzen soziale Medien vor allem zur Unterhaltung, Zerstreuung und zum „Socialisen“, politische Inhalte werden dort eher als zufälliger Beifang mitgenommen“.
Hilfreich für Wahlentscheidung: Öffentlich-rechtliches TV für Politikaffine vs. persönliche Gespräche & Erfahrungen für Politikferne
Doch wie relevant sind diese vielfältigen Kanäle bei der Meinungsbildung zur tatsächlichen Wahlentscheidung? Zwei Drittel (68 Prozent) der Wahlberechtigten geben an, bereits sicher zu wissen, wen sie wählen werden. Etwas weniger als ein Drittel (29 Prozent) der Wahlberechtigten hat sich noch nicht entschieden, und die restlichen 3 Prozent machen keine Angabe. Die YouGov-Daten zeigen, dass besonders Frauen (34 Prozent, Männer: 24 Prozent) sowie jüngere Wahlberechtigte (18-29 Jahre: 42 Prozent, 30-39 Jahre: 32 Prozent, 40-49 Jahre: 27 Prozent, 50-59 Jahre: 25 Prozent, 60-69 Jahre: 29 Prozent, 70 Jahre und älter: 24 Prozent) häufiger noch unentschlossen sind. „Die Zahl der Unentschiedenen wird vom jetzigen Zeitpunkt an immer geringer werden: Analysen der letzten Bundestagswahlkämpfe zeigen, dass ab vier Wochen vor der Wahl der Anteil der Wahlberechtigten, die noch unentschieden sind, abnimmt“ erklärt Frieder Schmid von YouGov.
Diejenigen, die bereits eine feste Wahlabsicht haben, nennen vor allem das öffentlich-rechtliche Fernsehen (30 Prozent) und persönliche Gespräche (27 Prozent) als hilfreiche Informationsquelle für ihre Entscheidung. Eine vergleichbar große Rolle spielten zudem persönliche Erfahrungen und Eindrücke (26 Prozent). Dabei zeigen sich starke Milieu-Unterschiede, wie Dr. Silke Borgstedt erläutert: „Während politikaffine Milieus verstärkt im öffentlich-rechtlichen Fernsehen relevante Informationen für ihre Wahlentscheidung fanden, waren für politikferne Milieus persönliche Erfahrungen sowie Gespräche im Umfeld die relevantesten Orientierungshilfen.“ Werden Wahlplakate zwar noch von knapp der Hälfte aller Befragten wahrgenommen, waren diese für die Wahlentscheidung kaum noch relevant (7 Prozent). Nur Podcasts (5 Prozent) und Gruppen / Kanäle in Messengern (5 Prozent) werden noch seltener als hilfreich für die Wahlentscheidung genannt.
Methodischer Hinweis:
Diese Umfrage wurde von YouGov Deutschland als Eigenstudie auf Basis des YouGov Omnibus Politik durchgeführt. Die Daten dieser Befragung basieren auf Online-Interviews mit Mitgliedern des unternehmenseigenen YouGov Panels. Die Mitglieder des Panels haben der Teilnahme an Online-Interviews zugestimmt. Für diese Befragung wurden im Zeitraum 17. bis 20.01.2025 insgesamt 2.194 Personen in einer repräsentativen Stichprobe, quotiert nach Alter, Geschlecht, Region, Wahlverhalten, Bildung und politisches Interesse, befragt. Die Stichprobe bildet die Wahlberechtigten Deutschlands ab 18 Jahren hinsichtlich dieser Quotenmerkmale ab.
Die Ergebnisse stehen hier kostenlos zur Verfügung.
Das YouGov Wahlmodell zur Bundestagswahl 2025 finden Sie hier.
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Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++