Um den Nutzen, aber auch die Grenzen von Big Data in der Politik, wütende Wähler, und ob man mit Umfragen in Deutschland reich werden kann, ging es bei einem Talk mit YouGov-Chief Scientist Doug Rivers in Berlin.
Seit Karl Rove 2000 entdeckt hat, dass Schneemobilbesitzer loyale Wähler der Republikaner sind, hat die Rolle von Big Data und zielgenauem „Microtargeting“ von potenziellen Wählern im amerikanischen Wahlkampf kontinuierlich zugenommen. Doch kann Big Data wirklich wahlentscheidend sein, wie manche behaupten? Als Teil der Veranstaltungsreihe „Digiminds“ diskutierte YouGov-Chief Scientist Doug Rivers am Dienstag im Telefonica-Basecamp in Berlin über die Rolle von Big Data und auch die von Protestwählern.
„Wenn du noch nicht gewählt hast, aber würdest, werden am Wahltag zwei Freiwillige von Team Clinton vor deiner Tür stehen, und wenn du am Nachmittag noch nicht wählen warst, werden sie wiederkommen“, so beschreibt Julius van de Laar die praktische Nutzung von Big Data im US-Wahlkampf. Der 34-Jährige leitete 2012 den Bereich Wählermobilisierung für Barack Obama im wahlentscheidenden Swing State Ohio und berät heute als Kampagnenberater Politiker und NGOs von Amnesty International bis zum WWF. Mittels der Analyse von Briefwählern könne die Clinton-Kampagne schon eine Woche vorher recht genau wissen, wie die Wahl in den Swing States ausgehen wird, so Van de Laar.
Umfrageforschung im 21. Jahrhundert
Die Perspektive des Umfrageforschers brachte Doug Rivers ein. Der Stanford-Professor und erfolgreiche Startup-Gründer ist Chief Scientist bei YouGov. Die Umfrageforschung des 20. Jahrhunderts habe 30-40 Fragen an tausend Personen per Telefon gestellt und neue Wahlwerbung an Fokusgruppen getestet. Doch die moderne internetgestützte Umfrageforschung könne schnell 100 Umfragen verbinden und viel genauer den Geschmack, die Vorlieben und Interessen potenzieller Wähler ermitteln. „Da sind wir noch nicht im Bereich von Big aber schon von Medium Data“, so Rivers.
"Data is not a strategy. It just makes everything more effective." #Digiminds @base_campberlin
— Daniel Klinge (@DanitoBl) 20. September 2016Doch Van de Laar betont auch die Grenzen des Einflusses von Big Data: „Es geht nur um wenige Prozent.“ Die Nutzung von Daten für Microtargeting, für Wähleransprache und -mobilisierung könne Dinge nicht grundlegen ändern. „Am Ende“ geht es um den Kandidat, seine „Message“, die politischen Umstände und den Zeitgeist. Donald Trump etwa ist (fast) ganz ohne Daten-Team weit gekommen. Doch in knappen Wahlen kann ein Unterschied von wenigen Prozent, können Daten und ihre clevere Nutzung wahlentscheidend sein. Vor allem aber können Wahlkämpfer Ressourcen zielgenauer einsetzen, wenn sie genau wissen, wo es Sinn macht.
Unterschätzt die Umfrageforschung wütende Wähler?
Er selbst habe den wütenden Wähler noch nicht getroffen, sagt Rivers scherzhaft. Vielleicht aber unterschätzte die Umfrageforschung Donald Trump immer noch, fürchtet der YouGov-Forscher. Er verweist auf die Umfrageforschung zum Brexit, wo Umfrageforscher die weniger gebildeten Leave-Wähler falsch gewichtet und daher ihren Einfluss unterschätzt hatten. Der „Trump-Appeal ist vergleichbar, weil er genauso wie das Leave-Vote in Großbritannien gegen Migranten gerichtet ist“, so Rivers. Doch das Phänomen der „angry voter“ ginge weit über Trump und die „angry white men“ hinaus. Auch viele Wähler der Sanders-Kampagne seien wütend, jedoch aus anderen Gründen. Außerdem seien nicht alle Wutwähler ungebildet.
Am Ende wagen sich beide an eine Prognose: „Hillary wird es hinkriegen“, zeigt sich Rivers überzeugt und Van de Laar rät: „Guckt euch die Debatte am Montagabend an“, dort könne Trump noch einmal punkten. Wenn es wirklich eng wird, werde ihr Apparat für die Wahlbeteiligung genügend Clinton-Sympathisanten an die Wahlurnen bringen.
Die Deutschen seien aufgrund des starken Datenschutzes hierzulande in einer sehr geschützten Position. Aber zumindest die Wirksamkeit von Wahlspots sollten auch deutsche Parteien testen und auch hier werde der Einfluss von Big Data wachsen, sagt Rivers. Trotzdem sei es schwieriger in Deutschland ein reicher Umfrageforscher zu werden, scherzt Rivers: „Genauso wie es schwieriger ist überhaupt reich zu werden in Deutschland“.
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