In der Frage „Wer braucht wen?“ haben Briten und Deutsche konträre Ansichten, mehr Einigkeit gibt es bei der Bewertung von Theresa Mays Brexit-Verhandlungsführung.
Jetzt geht er bald los, der große Verhandlungspoker. Gestern hat das britische Parlament den Brexit-Plänen zugestimmt, heute will die britische Premierministerin Theresa May ihre Pläne konkret vorstellen. Parallel droht mal der britische Finanzminister Philip Hammond den Europäern mit Steuersenkungen, um Unternehmen anzulocken, mal warnt der deutsche Finanzminister vor hohen Kosten für die Briten. Dabei geht es auch um die Frage, wer auf wen angewiesen ist.
Konträre Wahrnehmungen
Im europäischen Vergleich zeigen vor allem die Briten und Deutschen diametrale Wahrnehmungen in der Frage, wer wen mehr braucht. Das ist das Ergebnis einer aktuellen YouGov-Umfrage, für die im Rahmen des YouGov Eurotrack insgesamt gut 8000 Menschen in sieben europäischen Ländern befragt wurden und zusätzlichen Umfragedaten aus Deutschland und Großbritannien.
In Großbritannien und auch im Nicht-EU-Mitgliedsland Norwegen glauben die meisten Befragten, die EU brauche Großbritannien mehr als umgekehrt (33 bzw. 29 Prozent). In allen anderen untersuchten Ländern sagen mit 26 bis 35 Prozent die meisten Befragten, dass die Inselnation und der Staatenverbund in gleichem Maße aufeinander angewiesen sind – mit einer Ausnahme: Deutschland. Hierzulande meinen fast vier von zehn Befragten (37 Prozent), das Vereinigte Königreich brauche die EU mehr. In den anderen untersuchten Nationen denken dies deutlich weniger Befragte (zwischen 17 und 25 Prozent).
Deutsches Selbstbewusstsein
Dieses deutsche Alleinstellungsmerkmal oder auch Selbstbewusstsein zeigt sich auch in der Frage des Verhältnisses des eigenen Landes zur EU. 38 Prozent der Deutschen sagen, die Europäische Union brauche ihr Land mehr, als umgekehrt – in keinem anderen Land sagt das die Mehrheit. Nur im ölreichen und mit der EU lediglich assoziierten Norwegen sagen dies ähnlich viele Befragte (33 Prozent).
In den anderen skandinavischen Ländern gehen die meisten Befragten dagegen vom Gegenteil aus. In Dänemark, Finnland und Schweden ist die Mehrheit der Meinung, ihr Land benötige die EU mehr, als umgekehrt (41, 37 bzw. 29 Prozent). In der europäischen Wirtschaftsmacht Frankreich gehen die meisten Befragten von einer gegenseitigen Abhängigkeit aus (37 Prozent).
Relative Einigkeit – May agiert schlecht
Mehr Einigkeit herrscht zwischen den Deutschen und Briten dagegen bei der Frage, wie die britische Regierung derzeit agiert. In Deutschland denkt mehr als die Hälfte der Befragten (54 Prozent), dass die britische Premierministerin bei den Vorbereitungen zum Brexit schlecht handelt, zwei von zehn Deutschen (21 Prozent) sagen sie agiert gut.
Auch im Vereinigten Königreich meint derzeit eine Mehrheit, ihre Regierung handelt in den Brexit-Verhandlungen nicht gut (47 Prozent). Rund ein Drittel der Briten (34 Prozent) sagen, dass May und ihre politische Mannschaft den EU-Austritt derzeit gut verhandeln.
Für den aktuellen YouGov Eurotrack wurden insgesamt 8240 Personen vom 19. bis 24. Januar 2017 in sechs EU- und einem Nicht-EU-Land repräsentativ befragt: 1643 Briten, 2075 Deutsche, 959 Franzosen, 1023 Dänen, 1033 Schweden, 967 Finnen und 540 Norweger. In Deutschland wurde die Befragung im Rahmen des YouGov Omnibus durchgeführt.
Für die Frage zur Bewertung der Verhandlungsführung der britischen Regierung wurden in Deutschland auf Basis des YouGov Omnibus 2012 Personen im Zeitraum vom 30.01. bis 01. 02. 2017 sowie in Großbritannien 1705 Personen im Zeitraum vom 30. Bis 31. Januar 2017 repräsentativ befragt.
Foto: Matt Dunham/AP/Press Association Images