Der durchschnittliche Lebensstandard wird mit ziemlicher Sicherheit weiter steigen. Doch warum gibt es einen Zusammenhang zwischen Wohlstand und Pessimismus?
Die Statistik spricht Bände: Unserer Generation steht besser da, lebt sicherer und im Durchschnitt länger als die Generation unserer Eltern – und vermutlich jede Vorgängergeneration. Zugegebenermaßen ist der Lebensstandard in vielen westlichen Ländern in den vergangenen Jahren langsamer gewachsen. Doch schon durch eine jährliche Wachstumsrate von 2 Prozent im Jahr verdoppelt er sich in 35 Jahren. Eigentlich sollten wir optimistisch in die Zukunft blicken. Doch stattdessen fürchten wir kurzfristige Sparmaßnahmen.
Doch anderswo auf der Welt denken die Menschen anders. YouGov hat für den Think Tank Legatum eine Sieben-Nation-Studie durchgeführt. Dabei fragten wir die Menschen, ob sie einer Reihe von Aussagen zustimmen oder nicht. Ein großer Teil der Studie betraf die Haltung der Menschen zum Kapitalismus. Aber eine Frage brachte eine weitere Erkenntnis: Die Frage danach, ob die Menschen glauben, dass "die nächste Generation wahrscheinlich reicher, sicherer und gesünder sein wird als die letzte."
In der Tabelle sind die untersuchten Länder nach Optimismus geordnet – von links nach rechts. Am optimistischsten von den sieben Ländern sind die Menschen in Indien, am pessimistischsten in den USA. Dabei fällt auf, dass es einen starken Zusammenhang gibt zwischen Wohlstand und Pessimismus. Indien ist mit Abstand das ärmste Land in unserer Liste (Pro-Kopf-Einkommen: 6.000 US-Dollar pro Jahr), die USA das reichste ($ 55.000 pro Jahr). Die Kluft zwischen USA, Großbritannien und Deutschland auf der einen und Brasilien, Indonesien, Thailand und Indien auf der anderen Seite existiert nicht nur beim Pro-Kopf-Einkommen, sondern auch beim Ausblick auf die Zukunft.
Aber warum ist das so? Ein möglicher Grund ist, dass Wohlstand eine Angst erzeugt, dass die Dinge wieder schlimmer werden könnten, während die Menschen in den ärmeren Ländern an die alte Labour-Hymne der frühen Blair-Jahre glauben: „Things can only get better“.
Allerdings vermute ich, dass das nur ein Teil der Erklärung ist. Grundsätzlich sind die Menschen in Indien, Thailand und Indonesien in den vergangenen etwa zwanzig Jahren deutlich reicher – oder zumindest weniger arm – geworden. Vermutlich kommt ihr Optimismus daher auch aus der Wahrnehmung, dass die Dinge merklich besser geworden sind – und sich dieser Trend vermutlich weiter fortsetzt.
Auf der anderen Seite könnte der Mangel an Optimismus in Großbritannien, Deutschland und den USA auch aus dem Gefühl kommen, dass schon heute nicht alles gut ist. YouGov-Umfragen in Großbritannien haben immer wieder gezeigt, dass es in der Wahrnehmung vieler – ganz egal, was die Statistiken sagen – bergab geht. Und zwar gleichermaßen in Bezug auf den Lebensstandard, die Kriminalitätsrate und die Qualität von Schulen und Gesundheitsversorgung. Auch wachsende Ungleichheit spielt eine Rolle: Menschen, die sehen, wie die Reichen immer reicher werden, sind tendenziell weniger zufrieden, wenn ihr eigener Lebensstandard nur langsam steigt. Der relative Lebensstandard innerhalb einer Gesellschaft ist genauso wichtig – oder sogar wichtiger – wie der absolute Lebensstandard.
Der allgegenwertige Pessimismus in den reicheren Ländern hilft, den Erfolg populistischer Parteien und Politiker zu erklären - zum Beispiel die anhaltende Beliebtheit Donald Trumps und Ben Carsons bei den US-amerikanischen Republikanern. Um dem etwas entgegenzusetzen, müssten Mainstream-Politiker neben effektiven Maßnahmen zum Beispiel in Sachen Einwanderung und Austerität noch etwas anderes bieten. Sie müssten ihre Wähler überzeugen, dass die Zukunft nicht so düster ist, wie sie scheint – und dass die Früchte des Wachstums in den kommenden zwanzig Jahren gerechter verteilt werden als in den vergangenen zwanzig Jahren.
Peter Kellner ist ein britischer Journalist, politischer Kommentator, und Präsident von YouGov.
Für die Studie wurden insgesamt 7861 Personen am 14. und 15. Oktober 2015 repräsentativ befragt: 1714 Briten, 2009 Deutsche, 1008 Brasilianer, 1008 Dänen, 1000 Inder, 1006 Thailänder und 1000 Amerikaner.
Foto: Vandeville Eric/ABACA/Press Association Images
Übersetzung: Matthias Schmidt (Original)