Die Kriegsschuld der Deutschen und das symbolische Schuldbekenntnis des Bundespräsidenten in Polen

November 07, 2019, 4:11 nachm. GMT+0

Anlässlich des Jahrestages der Reichspogromnacht hat YouGov die Deutschen zum Thema Kriegsschuld befragt

Am 9. November gedenken die Deutschen erneut der Reichspogromnacht von 1938, in der jüdische Geschäfte und Gotteshäuser in Brand gesetzt und tausende Juden in Deutschland verhaftet oder getötet wurden. Knapp ein Jahr später, am 1. September 1939, begann der 2. Weltkrieg mit dem Überfall auf Polen. Anlässlich des 80. Jahrestags des Kriegsauftaktes hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Polen um Vergebung für die deutschen Kriegsverbrechen gebeten. Eine aktuelle YouGov-Umfrage zeigt, wie diese Geste der Reue und Demut von der deutschen Bevölkerung wahrgenommen wurde.

Obwohl etwa ein Drittel der Deutschen (31 Prozent) der Geste des Bundespräsidenten ablehnend gegenübersteht, befürwortet die Mehrheit der Bevölkerung (55 Prozent) Steinmeiers Worte. Am stärksten unterstützen Anhänger der Grünen (75 Prozent) bzw. der Linken (70 Prozent) die Demutsgeste in Polen. Demgegenüber ist fast die Hälfte derjenigen, die bei der nächsten Bundestagswahl die FDP wählen würden (47 Prozent), ablehnend eingestellt, besonders ausgeprägt ist der Ablehner-Anteil unter Wählern der AfD mit 61 Prozent.

Kriegsschuld und Schuldbekenntnis

Deutsche fühlen sich nicht mehr verantwortlich für die Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Bei der Frage, wer für die begangenen Verbrechen heute noch die moralische Verantwortung trägt, ist die Antwort nicht überraschend: 45 Prozent der Deutschen sehen die Hauptverantwortung bei denjenigen, die während der NS-Zeit im Erwachsenenalter waren.

Rund ein Drittel der Deutschen findet es gerecht, dass die moralische Verantwortung bei Deutschland als Land sowie bei der aktuellen deutschen Regierung liegt. Dass aber auch noch Deutsche, die entweder während der NS-Zeit (59 Prozent) oder nach dem Krieg geboren wurden (63 Prozent), moralische Verantwortung tragen sollen, finden jeweils etwa sechs von zehn Deutschen ungerecht. Ein hoher Anteil an Unentschlossenen fällt zudem bei der Gruppe der 18- bis 34-Jährigen auf: Jeweils rund ein Drittel legt sich nicht fest, ob es gerecht ist, dass deutsche Bürgerinnen und Bürger die moralische Verantwortung tragen sollen.

Moralische Verantwortung Kriegsschuld

Eine Wiederholung der NS-Verbrechen in Deutschland hält die Mehrheit für unwahrscheinlich

Die Mehrheit der Deutschen (54 Prozent) glauben nicht, dass sich die Verbrechen des NS-Regimes in Deutschland wiederholen werden. Allerdings denken immerhin zwei Drittel der Deutschen (65 Prozent), dass sich der Terror in einem anderen Land wiederholen könnte.

Damit die schrecklichen Verbrechen des Dritten Reichs in Deutschland nicht noch einmal passieren, halten die Deutschen es mehrheitlich (62 Prozent) für notwendig, sich auch heute noch mit den Verbrechen der NS-Zeit und ihren Folgen auseinanderzusetzen. Ist die Bevölkerung dafür ausreichend informiert und verfügt über ein ausgeprägtes historisches Bewusstsein?

Nicht ganz. Es fällt auf, dass vor allem Deutsche mit einem höheren Bildungsabschluss (Abitur, Studium) die Notwendigkeit sehen, sich weiterhin mit den Geschehnissen und Folgen der NS-Zeit auseinanderzusetzen (80 Prozent). Von den Deutschen mit mittlerem Bildungsabschluss (weiterführender Schulabschluss ohne Abitur) sind immerhin noch 62 Prozent dieser Meinung. Befragte ohne Schulabschluss halten es dagegen eher nicht mehr für notwendig, die Zustimmung ist hier mit 43 Prozent nur etwa halb so hoch wie bei der Gruppe mit hohem Bildungsabschluss.

Auch in Bezug auf Altersgruppen lassen sich Unterschiede feststellen: Während 67 Prozent der Jüngeren (18 bis 34 Jahre) die Auseinandersetzung mit dem Thema wichtig finden, teilen diese Ansicht 62 Prozent der mittleren (35 bis 54 Jahre), aber nur noch 58 Prozent der ältesten Altersgruppe (55 Jahre und älter). Offensichtlich sind sich besonders die Jüngeren der Auswirkungen der deutschen Geschichte und der Verantwortung, die diese mit sich bringt, bewusst.

Auf Basis des YouGov Omnibus wurden 2.003 Personen in Deutschland ab 18 Jahren vom 06.-10.09.2019 repräsentativ befragt.

Foto: dpa