Für 22 Prozent der Deutschen, die Mitglied der katholischen Kirche sind, ist Austritt wahrscheinlich

Lea KönigshofenResearch Executive
April 14, 2022, 8:35 vorm. GMT+0

YouGov-Eurotrack-Umfrage aus dem Februar 2022 zum Thema Kirchenaustritt

In den vergangenen Monaten war die katholische Kirche vor allem in Deutschland immer wieder in den Schlagzeilen. Themen waren dabei unter anderem die Missbrauchsfälle innerhalb der Kirche, Coming-Outs von zahlreichen Kirchen-Mitarbeitern, Geistliche, die nicht zurücktreten wollen oder deren Rücktritt aus Rom abgelehnt wird. Kritik an den Entwicklungen in der katholischen Kirche wird auch unter Mitgliedern laut und spiegelt sich unter anderem in der Entwicklung der Kirchenmitgliedszahlen wider.

So ist es für 22 Prozent jener Deutschen, die derzeit Mitglied der katholischen Kirche sind, wahrscheinlich, innerhalb der nächsten 12 Monate aus der Kirche auszutreten. Unter Deutschen, die derzeit Mitglied der evangelischen Kirche sind, sagen dies 15 Prozent.

Dies sind Ergebnisse der aktuellen Eurotrack-Umfrage der internationalen Data & Analytics Group YouGov in sechs europäischen Ländern, für die insgesamt 2.088 Personen in Deutschland, 1.720 im Vereinigten Königreich, 1.052 in Dänemark, 1.009 in Schweden, 1.016 in Spanien und 1.011 in Italien zwischen dem 10. und 19. Februar 2022 mittels standardisierter Online-Interviews befragt wurden. Die Ergebnisse sind gewichtet und repräsentativ für die jeweiligen Bevölkerungen ab 18 Jahren.

Katholische Kirche hat vor allem in Deutschland stark an Glaubwürdigkeit eingebüßt

Über zwei Drittel aller Deutschen (68 Prozent) finden, dass die katholische Kirche in den letzten drei Monaten an Glaubwürdigkeit verloren hat, darunter für 58 Prozent sogar sehr stark. Damit haben die Deutschen ein kritischeres Bild von der Kirche als andere Europäer: Während in Spanien 57 Prozent und in Italien 46 Prozent der Befragten sagen, dass die Kirche (stark) an Glaubwürdigkeit verloren habe, teilen im Vereinigten Königreich und Schweden nur jeweils drei von zehn Befragten diese Meinung (29 Prozent), in Dänemark sogar nur knapp zwei von zehn Befragten (18 Prozent).

Mehrheit der befragten Europäer spricht sich für Abschaffung des Zölibats aus

In allen Ländern findet jeweils eine Mehrheit der Befragten, dass das in der katholischen Kirche geltende Zölibat abgeschafft werden sollte. Am häufigsten sprechen sich Deutsche (78 Prozent) und Spanier (71 Prozent) dafür aus. In Italien und Dänemark teilen jeweils mehr als drei von fünf Befragten (64 Prozent) diese Meinung. Am geringsten ist die Zustimmung im Vereinigten Königreich: Hier spricht sich nur etwas mehr als jeder Zweite für eine Abschaffung aus (54 Prozent).

Grafik_Zölibat_Kirchenaustritt_aso_LKBei der Frage, ob die katholische Kirche es Frauen erlauben sollte, zu Priestern geweiht zu werden, sind sich die Befragten dagegen relativ einig: Jeweils rund drei von vier Befragten in Deutschland (74 Prozent), Dänemark (76 Prozent), Schweden (74 Prozent) und Spanien (77 Prozent) finden, dass auch Frauen in das Priesteramt aufgenommen werden sollten. Im Vereinigten Königreich teilen 71 Prozent und in Italien 65 Prozent diese Meinung.

Hauptgrund für Austritt in Deutschland ist Kirchensteuer

Unter den deutschen Befragten, die angeben, aus der katholischen oder evangelischen Kirche ausgetreten zu sein, nennt fast jeder Zweite (48 Prozent) die Kirchensteuer als Begründung. Mehr als jeder Vierte (27 Prozent) gibt an, keine Religionszugehörigkeit oder den Besuch der Kirche zu brauchen, um gläubig zu sein. Jeweils rund ein Viertel hält außerdem die moralischen und sozialen Vorstellungen der Kirche für altmodisch und überholt (25 Prozent) oder gibt den Umgang der Kirche mit den Missbrauchsfällen und Missbrauchsvorwürfen als Austrittsgrund an (23 Prozent). Den Umgang der Kirche mit homosexuellen Menschen nennen 8 Prozent der Befragten als Austrittsgrund.

Missbrauchsfälle am häufigsten genannter potenzieller Austrittsgrund

Noch etwas deutlicher spiegeln sich die aktuellen Entwicklungen der Kirche in den Beweggründen derjenigen wider, die angeben, aktuell einen Kirchenaustritt, entweder aus der evangelischen oder katholischen Kirche, in Erwägung zu ziehen oder schon einmal in Erwägung gezogen zu haben: So nennen rund zwei von fünf Befragten (39 Prozent) den Umgang der Kirche mit Missbrauchsfällen als potenziellen Austrittsgrund. Weitere Gründe, über einen Austritt nachzudenken, sind für die Befragten ebenfalls die Kirchensteuer (26 Prozent) sowie die Ansicht, dass die Kirche oder eine religiöse Zugehörigkeit nicht notwendig sei, um gläubig zu sein (23 Prozent). Jeder Fünfte (20 Prozent) gibt an, dass die moralischen und sozialen Vorstellungen der Kirche altmodisch und nicht mehr zeitgemäß seien. 16 Prozent der Befragten, die einen Austritt in Erwägung ziehen oder in Erwägung gezogen haben, sagen, dass sie bisher der bürokratische Aufwand vom tatsächlichen Austritt abgehalten habe. 14 Prozent sind trotz Überlegungen bisher nicht ausgetreten, weil sie gerne in Zukunft kirchliche Zeremonien, wie etwa eine Taufe oder Hochzeit, in Anspruch nehmen möchten.

Auch in Schweden ist Kirchensteuer für jeden Zweiten der Hauptgrund für den Kirchenaustritt

Auch wenn der Kirchenaustritt in den untersuchten Ländern grundsätzlich unterschiedlich definiert wird, ähneln sich doch die Gründe für die Befragten, der Kirche als Institution den Rücken zu kehren: In Schweden (48 Prozent) und Dänemark (35 Prozent) etwa ist wie in Deutschland die Kirchensteuer der Hauptgrund für den Kirchenaustritt. Spanier (37 Prozent) und Italiener (32 Prozent) geben hingegen am häufigsten an, ihren Glauben in die Kirche als Institution verloren zu haben. Aber auch die Missbrauchsfälle innerhalb der Kirche (Spanien und Italien je 25 Prozent) und die sozialen und moralischen Vorstellungen der Kirche (Spanien: 25 Prozent, Italien: 31 Prozent) waren für viele ein Grund zur Abkehr. Im Vereinigten Königreich (30 Prozent) und Dänemark (31 Prozent) geben jeweils drei von zehn Befragten, die sich von der Kirche losgesagt haben, an, nicht (mehr) an Gott zu glauben.

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