Studie zu Autoritärem Populismus in Europa: Deutsche am wenigsten empfänglich

Joe TwymanHead of Political and Social Research (EMEA)
November 21, 2016, 5:33 nachm. GMT+0

Autoritärer Populismus ist eine wachsende Kraft in ganz Europa und könnte das bestimmende politische Phänomen des nächsten Jahrzehnts werden.

In den 80er Jahren entwickelten einige Politikwissenschaftler einen neuen akademischen Begriff, um die Politik von Ronald Reagan und Margaret Thatcher zu beschreiben: Autoritärer Populismus (AP). Der Begriff basierte darauf, dass die beiden Politiker und ihre Wähler bestimmte Kernwerte verband: Eine zynische Einstellung gegenüber Menschenrechten, die Ablehnung von Immigration, sowie in Großbritannien die Ablehnung der EU und eine starke Betonung auf Verteidigung als Teil der Außenpolitik.

Reagan und Thatcher waren Ende der 80er nicht mehr an der Macht und ihre Nachfolger Bill Clinton und Tony Blair standen für einen anderen Politikstil. Doch in den letzten Jahren ist der Autoritäre Populismus wiedergekehrt und erneut ein politischer Trend geworden. Verkörpert wird er durch Parteien wie UKIP in Großbritannien, den Front National in Frankreich, die AFD in Deutschland und – natürlich – durch Donald Trump in den USA.

Um herauszufinden wie weit verbreitet solche Einstellungen sind, hat YouGov in Kooperation mit Prof. David Sanders von der University of Essex eine Studie in zwölf europäischen Ländern durchgeführt. Die Studie zeigt, dass in acht der elf untersuchten Ländern mehr als die Hälfte aller Wähler autoritär-populistisch eingestellt sind.

Die Ergebnisse zeigen das Potential für weitere Wahlerfolge populistischer Parteien. Obwohl in allen zwölf Ländern die „Liberale Linke“ in unterschiedlichen Ausprägungen den größten Block unter den Wählern stellt, bilden autoritär-populistisch eingestellte Wähler aus den vier großen Wählergruppen liberale Linke, liberales Zentrum, rechtes Zentrum, Rechte, in sieben der untersuchten Ländern eine größere Gruppe. Sollte ein Politiker oder eine Partei es schaffen, die autoritär-populistisch eingestellten Wählergruppen zu vereinen, werden sie in der Lage die etablierte politische Ordnung ernsthaft herauszufordern.

In neun der zwölf Länder korrelieren autoritär-populistische Einstellungen positiv mit der Rechts-Links Selbsteinstufung. Autoritär-populistische Wähler werden in diesen Ländern von Wählern vertreten, die sich politisch rechts einstufen. In drei Ländern jedoch ist der Zusammenhang negativ. In Italien, Rumänien und Litauen tendieren Anhänger der politischen Linken zu autoritär populistische Einstellungen.

Diese Bedrohung des aktuellen liberalen Konsenses durch AP-Wähler ist dabei unterschiedlich von Land zu Land. In Großbritannien könnten autoritäre-populistisch Eingestellte die Art des Brexits prägen. Frankreich und Deutschland bestimmen bei den Wahlen nächstes Jahr ihre politische Führung neu. Vor allem in Frankreich gibt es einen hohen Anteil von AP-Wählern. Ein Kandidat, der sie erfolgreich hinter sich vereint, könnte nicht nur das Land, sondern die gesamte Europäische Unione verändern. Auch wenn in einem Land es keine Politiker gibt, die die Macht der AP-Wähler erfolgreich nutzen können, um an die Macht zu kommen, wird der Einfluss dieser Wähler-Masse den politischen Kurs von Ländern in der gesamten EU beeinflussen sagt Twyman, Head of Political and Social Research bei YouGov. Der autoritäre Populismus könnte „das bestimmende politische Phänomen der nächsten Jahre werden“, so der Forscher.

Nirgendwo ist diese Gefahr aktuell höher als Frankreich. Hier findet sich der dritthöchste Anteil autoritär-populistisch eingestellter Wähler unter den zwölf untersuchten Ländern. In dem Land das nächstes Jahr einen neuen Präsidenten wählt, vertreten 63 Prozent der Wähler autoritär-populistische Positionen. 29 Prozent der AP-Wähler gehören hier dem Lager der Mitte an, 34 Prozent der politischen Rechten. Die internationalistische liberale Linke, die die EU befürwortet und nicht autoritär-populistisch eingestellt ist, stellt demnach einen 37 Prozent großen Wählerblock.

Großbritannien liegt im europaweiten Vergleich autoritär-populistischer Einstellungen im Mittelfeld. Hier gibt es ein AP-Wähler Potenzial von 48 Prozent. Bei den Wählern der rechtspopulistischen UKIP und den Konservativen gibt es eine Mehrheit autoritär-populistisch eingestellter Wähler: 68 Prozent der Anhänger der Konservativen und 96 Prozent der UKIP-Wähler denken so.

In Deutschland hingegen sind nur 18 Prozent der Wähler laut dem Modell autoritär-populistisch eingestellt. Hierzulande gehören drei von zehn der Befragten der internationalistischen liberalen Linken an und 52 Prozent der liberalen Mitte.

Die Verteilung der autoritär-populistischen Einstellungen auf Wählergruppe (Anti-EU, Anti-Immigration, Zynismus Menschenrechte, Verteidigung) misst das Modell dabei mittels Explorativer Faktoranalyse. Zur Berechnung der Verlässlichkeit der Modellwerte wurden Alpha-Werte verwendet. Die Interpretation der durch die Faktoranalyse gebildeten Gruppen beinhaltet eine Wertung durch die Forscher. Auch ist das Modell unterschiedlich gut anwendbar auf verschiedene Länder politischen Systemen, die sich von dem Großbritanniens am meisten unterscheiden. In Rumänien etwa gibt es den höchsten Anteil autoritär-populistischer Parteien, doch eine Variable des Modells ist auf das Land nicht anwendbar, weil im Land alle Wähler die EU befürworten.

Die YouGov „12 Nation Authoritarian Populism Study“ wurde ab September 2016 durchgeführt und ist Teil einer (weiter)laufenden Forschung zum Thema. Die vollen Ergebnisse werden in Kürze veröffentlicht werden. Die Studie wurde im Zuge des YouGov-Cambridge Forum, einer Kooperation von YouGov und dem Cambridge Department of Politics and International Studies, durchgeführt.

Der Artikel beruht auf einer gekürzten Übersetzung des Artikels: Trump, Brexit, Front National, AfD: branches of the same tree. Übersetzung: Moritz Wichmann

Foto: Matthias Schrader/AP/Press Association Images