Warum dramatische Wechsel in den US-Wahlumfragen nicht immer das sind, was sie scheinen

Douglas RiversChief Scientist
November 03, 2016, 4:08 nachm. GMT+0

Phantom-Schwankungen: Die starken Schwankungen in vielen Umfragen zur US-Wahl in den letzten Wochen und Tagen sind trügerisch, es ist wichtig nach vergangenem Wahlverhalten zu gewichten.

Nicht direkt, aber einige Tage nach den Enthüllungen über ein Video-Tape mit sexistischen Kommentaren Donald Trumps über Frauen vor drei Wochen zeigten Umfragen einen zweistelligen Vorsprung für Hillary Clinton. Nach Enthüllungen über ihren Ehemann und einem Brief von FBI-Direktor James Comey, in der er die Wiederaufnahme der Ermittlungen gegen Clinton in der E-Mail Affäre ankündigt, zeigten einige Umfragen in den USA in den letzten Tagen plötzlich einen Vorsprung für Trump an. Eine Entwicklung, die bereits an den Börsen für Turbulenzen sorgte. Doch sowohl nach den Trump-Tapes, als auch jetzt zeigt das YouGov-Modell nur wenig Veränderung an. Der Grund: In Wahrheit haben viele Ereignisse weniger Einfluss, als von den Medien angenommen und nicht so sehr das Wahlverhalten, sondern die Bereitschaft Umfragen zu beantworten verändert sich durch Wahlkampf-Ereignisse. Das sagen YouGov Chief Scientist Doug Rivers und Benjamin Lauderdale von der London School of Economics in einem jüngst erschienenen Artikel in der Fachzeitschrift „Quarterly Journal of Political Science“.

Anstoß war eine Frage des amerikanischen Statistik-Gurus Nate Silver. Der Umfragen-Journalist der New York Times hatte in einem Beitrag bemerkt, dass YouGov-Umfragen zur US-Präsidentschaftswahl geringere Veränderungen zeigen, als andere. In den YouGov-Umfragen hatte Clinton im September einen geringen Vorsprung, den sie nach der ersten TV-Debatte am 26. September auf fünf bis sechs Prozent ausbauen konnte. Seitdem ist viel passiert: Sex-Tapes, die Debatte um „rigged elections“, Wikileaks-Enthüllungen. Doch die Daten im YouGov Modell und in Umfragen im Auftrag des Economist haben sich nur wenig bewegt. Andere Umfragen haben dramatische Schwankungen gezeigt: Eine ABC/Washington Post Umfrage etwa sah Clinton am 22. September 2 Prozent vorne, ein Vorsprung, der auf bis zu 12 Prozent am 22. bzw. 23. Oktober anstieg, und der am letzten Wochenende auf einen Prozent zurückfiel. Vorgestern zeigte die Umfrage dann einen Vorsprung von einem Prozent für Donald Trump an. Manche Analysten und politische Beobachter folgerten, die neuesten Enthüllungen über die Clintons würden nun Trump helfen.

Doch Standford-Professor Doug Rivers und der Methodenforscher Benjamin Lauderdale argumentieren, dass der Grund für die Schwankungen in Verzerrungen in den Stichproben der Umfragen zu suchen ist.

Das Problem von Phantom-Schwankungen

Die meisten Telefonumfragen nutzen unabhängige Stichproben, bei denen die Befragten in einer Umfrage eine Woche später andere sind als in der Woche zuvor. Das macht es unmöglich, Veränderungen in den Wahlabsichten individueller Wähler von einer Woche auf die nächste festzustellen. Es ist möglich, dass fünf Prozent der Wählerschaft in der letzten Woche von Clinton zu Trump gewechselt sind (und damit Clintons Vorsprung um 10 Prozent reduziert haben). Aber es ist genauso gut möglich, dass keiner gewechselt ist und die anscheinenden Schwankungen nur auf unterschiedlich zusammengesetzte Stichproben zurückzuführen sind.

YouGov zieht seine Stichproben aus einem großen Pool von Panelisten. Manchmal werden die gleichen Befragten nochmals kontaktiert, um zu ermitteln, ob sich ihre Wahlabsichten geändert haben. Nach der ersten Debatte im September hat YouGov zum Beispiel 2.1232 Menschen nochmals befragt, die einen Monat vorher über ihre Wahlabsichten Auskunft gegeben hatten. 95 Prozent der Wähler, die im September gesagt hatten, dass sie für Clinton stimmen würden, sagten, dass wollten sie weiterhin tun. Keiner von ihnen sagte, er würde Trump wählen wollen, aber fünf Prozent sagten, sie seien nun unentschieden, würden für einen Drittparteikandidaten stimmen oder überhaupt nicht wählen. Bei den Trump-Unterstützern sagten nur 91 Prozent, dass sie immer noch für den Republikaner stimmen wollten. Fünf Prozent wechselten ins Unentschieden-Lager, ein Prozent zu Clinton und der Rest gab an nun für eine dritte Partei zu stimmen oder gar nicht wählen zu wollen. Der langfristige Nettoeffekt war eine Vergrößerung des Vorsprungs von Clinton von fast vier Prozent. Das war eine reale Veränderung zu ihren Gunsten, aber deutlich weniger als den Vorsprung von 10 Prozent den ihr einige Umfragen zusprachen.

Der wirkliche Einfluss von Wahlkampf-Events

Andere Events wiederum hatten keinen messbaren Einfluss auf die Wahlabsichten. Nach den Trump-Tapes, der zweiten und dritten TV-Debatte, oder der Wiedereröffnung der FBI-Ermittlungen zu Clintons E-Mails, gab es keine Veränderung in den YouGov-Daten. Als die gleichen Befragten in diesen Fällen nochmals kontaktiert wurden, sagten fast alle von ihnen, dass sie noch denselben Kandidaten wie in vorherigen Interviews unterstützen würden. Die kleine Anzahl der Befragten, die ihre Wahlabsichten änderte, tat das etwa gleichermaßen hin zu Clinton und zu Trump, sodass die Netto-Wählerwanderung bei annähernd null lag.

Umfragen-Enthusiasmus

Was die Daten allerdings zeigten, war eine andere Art der Veränderung: Der Wille Umfragen zu beantworten variierte bei Clinton- und Trump-Unterstützern in einem signifikanten Ausmaß damit, was zur Zeit der Umfrage gerade passierte. Wenn es schlecht lief für einen Kandidaten tendierten Unterstützer dazu, nicht mehr an Umfragen teilzunehmen. Nach dem Erscheinen des Access Hollywood Videos in denen Trump damit prahlt Frauen ungestraft zwischen die Beine greifen zu können, beteiligten sich 4 Prozent weniger Trump-Wähler als Clinton-Wähler an den Umfragen. Das gleiche Phänomen passierte dieses Wochenende nach der Ankündigung der FBI-Untersuchung: Die Antwortrate von Clinton-Unterstützern war 3 Prozent niedriger als die der Trump-Supporter (die nun eine Umfrage beantworten konnten zu einem Thema, dass sie mochten). Eine solche Nicht-Antwort nicht zu berücksichtigen führt zu sogenannten Phantom-Schwankungen, zu Umfragen die Schwanken aufgrund von Veränderungen in der Stichproben, also den Umfrageteilnehmern, obwohl es keinen oder nur geringen Wandel in den individuellen Wahlabsichten gibt.

Gewichtung nach letzter Wahlentscheidung

Dass es bei YouGov-Umfragen nicht solche starken Schwankungen gibt, liegt daran, dass wir auch nach der letzten Wahlentscheidung der Befragten gewichten. Obwohl etwa New-York-Times-Kolumnisten wie Nate Cohn und ein Teil der Fachliteratur behauptet, das Menschen „ihre letzte Wahlentscheidung nicht sehr genau wiedergeben“ können oder wollen, weil die Leute sich lieber daran erinnerten für den Gewinner gestimmt zu haben, zeigen andere Studien und ein YouGov-Experiment, dass die meisten Leute sich sehr wohl zuverlässig erinnern (Lesen Sie hier weiter zur Debatte um die Gewichtung nach letztem Wahlergebnis).

Was das heißt

Vor dem Hintergrund dieser Verhaltensmuster sind wir sehr skeptisch bei Umfragen, die in den vergangenen Wochen immer wieder einen zweistelligen Vorsprung von Clinton gezeigt haben. Sehr wahrscheinlich sind diese Umfragen verzerrt und beinhalten überproportional viele Obama-Wähler von 2012, eine Tatsache, die nicht ausreichend berücksichtigt wurde.

Unsere Daten zeigen einfach keine größere Bewegung von Romney-Wählern, entweder zu Clinton oder zu einem Drittpartei-Kandidaten, um einen zweistelligen Vorsprung für Clinton zu generieren. (Lesen Sie hier weitere Gedanken zum Thema Wahlbeteiligung, Nicht- und Protestwählern).

Wir denken es ist fast sicher, dass Clinton niemals so weit vorne lag, wie viele veröffentlichte Umfragen suggerierten. Gleichermaßen glauben wir auch, dass Clinton von den letzten Ereignissen nicht so sehr getroffen wurde, wie manche Umfragen glauben machen. Die Wahrheit ist langweiliger: Wirklicher Wandel vollzieht sich meist langsam, und der Einfluss von Wahlkampf-Events ist sehr viel kleiner als die Medien es darstellen.

Der Artikel beruht auf einer gekürzten und leicht angepassten Form des Artikels „Beware the phantom swings: why dramatic bounces in the polls aren't always what they seem“.