Kolle Rebbe punktet mit Smombies, verschenkt aber Potenzial

Holger GeißlerBis Dezember 2017 Head of Research bei YouGov Deutschland
April 05, 2016, 3:26 nachm. GMT+0

Gerade in der Marktforschung ist die Trendforschung ein wichtiges Betätigungsfeld. Es gibt unzählige Studien zu Trends in allen Bereichen des Lebens. Von medialen Trends jugendlicher Konsumenten, über Versicherungs-Trends arrivierter Best-Ager hin zu Ernährungstrends in sehr speziellen Zielgruppen. Unabhängig von repräsentativer Trendforschung entwickelt sich seit einigen Jahren ein Trend, an dem wir alle, in unterschiedlich schwerem Grade, beteiligt sind.

Die Rede ist hier vom Starren. Egal wo man sich bewegt, sei es auf der Straße, im ÖPNV, auf Familienfeiern, Geschäftsbesprechungen oder in den heimischen vier Wänden – so gut wie überall und in jeder Situation trifft man auf Personen, die wie geistesabwesend auf ihr Smartphone starren und die Außenwelt faktisch nicht mehr wahrnehmen.

Die neue Werbekampagne des Netzanbieters O2 greift das Motiv der ständig mit dem Bildschirm des eigenen Smartphones beschäftigten Menschen auf und versieht dieses mit einer positiven Wendung. Wie der von der Kreativagentur Kolle Rebbe verantwortete Spot bei den Zuschauern ankommt, haben wir für HORIZONT im YouGov Reel Werbecheck getestet.

Die Analyse des Werbespots findet mit der YouGov Reel Echtzeitbewertung statt. Ausgewählte Befragte bewerten hierbei den Werbespot kontinuierlich, indem sie stufenlose Mausbewegungen nach rechts (positiv) oder nach links (negativ) ausführen. Am Ende steht so für jede Sekunde eines Werbeclips (oder Trailers, Imagefilms, Hörfunkspots etc.) ein Reel-Score zwischen 0 (negativ) und 100 (positiv), der anzeigt, ob der Zuschauer bei der betrachteten Szene eher positive oder negative Assoziationen entwickelt. So können Stärken und Schwächen genau dargestellt werden.

Zudem werden alle Umfrageteilnehmer nach dem Spot zu weiteren Werbewirkungsdimensionen befragt. Anhand eines Referenz-Benchmarks lässt sich die Wirkung des aktuellen Werbeclips von O2 mit den Durchschnittswerten anderer Spots vergleichen. Für den Spot-Test wurde vom 9. bis 14. März 2016 eine bevölkerungsrepräsentative Stichprobe von 217 Personen aus dem YouGov-Panel Deutschland befragt. Der Spot wurde im Umfeld mit aktuellen TV-Spots für Tipico, Schüco, Käpt´n Iglo und Xing getestet.

Schon in den ersten Sekunden des Spots steigt die Echtzeit-Bewertungskurve deutlich über den neutralen Score von 50 und verbleibt dort durchgängig bis zu dessen Ende. Höhepunkte zwischen 59 und 63 erreicht der Score jeweils während der Verwendung von bildgewaltigen Naturszenen. Die Zwischenszenen, in denen der Fokus auf den Smartphones liegt, sorgen jeweils für ein leichtes Absinken der Bewertung, wobei ein Tiefpunkt von knapp unter 55 in der dunkler gehaltenen Anfangsphase des Spots erreicht wird.

Neben den Landschaftsszenen erzielt auch die Szene mit dem Kranfahrer, der sich hoch oben über den Dächern der Stadt auf dem Smartphone ein Babyvideo anschaut, einen Bewertungsanstieg – erwartungsgemäß vor allem bei den weiblichen Zuschauern. Unmittelbar mit dem Branding erfolgt der abrupteste Knick der Bewertung nach unten.

Liegt der Score-Peak des Spots kurz vor dem Branding noch bei einem überdurchschnittlichen Wert von 63, so kann das aufgebaute Momentum nicht ideal zum Transfer der Brand genutzt werden. Die knappen acht Sekunden bis zum Einblenden des Logos verschenken wichtiges Potenzial für die Marke. So erreicht ein insgesamt überdurchschnittlich abschneidender Spot hier mit einen Reel-Score@Branding von 53 leider nur ein unterdurchschnittliches Ergebnis.

Etwas mehr als einem Viertel der Befragten (29 Prozent) hat der aktuelle O2-Spot "sehr gut" oder "ausgezeichnet" gefallen. Und auch wenn der Spot hiermit etwas hinter dem Benchmark zurückliegt, kann man unter Einbeziehung der weiteren 41 Prozent, denen er "gut" gefallen hat, ohne sich aus dem Fenster lehnen zu müssen von einem gelungenen Spot sprechen.

Weiterhin bewerten jeweils mehr als 70 Prozent der Befragten den Clip als sympathisch, aktiv und modern. In allen diesen Kategorien erreicht er den Benchmark-Wert oder übertrifft ihn sogar.

Auch sagen 83 beziehungsweise 86 Prozent, dass der Spot zur Marke und zur Produktkategorie passt, womit er hier den Benchmark hinter sich lässt. Wie die Echtzeitbewertung schon andeutet, punktet er auch bei der Bewertung der gezeigten Schauplätze und der optischen Umsetzung, die 52 und 58 Prozent mit "sehr gut" oder "ausgezeichnet" einstufen. Allerdings zeigen sich auch Schwächen. Der Spot wird als weniger traditionell, bodenständig oder humorvoll bewertet als Vergleichsclips.

Und auch wenn ein gutes Abschneiden in diesen Kategorien aufgrund des Settings und der Story des Werbeclips nicht ganz oben auf der Agenda von O2 stehen dürfte, so schwächelt er doch trotz hoher Glaubwürdigkeit und Verständlichkeit bei der Aktivierungsleistung. So fühlen sich nur 36 Prozent der Befragten vom Spot animiert, sich näher über die Marke oder das Produkt zu informieren.

Befragt man die Zuschauer danach, was Ihnen gefallen oder nicht gefallen hat, fällt auf, dass O2 als Absender des Spots häufiger als Grund für eine negative Einschätzung genannt wird. Auch wird angesprochen, was sich in der Echtzeitbewertung zum Schluss hin zeigte: "Das Ende sollte kürzer sein" gibt hier einige negative Aussagen zur Spotgestaltung recht gut wieder. Gemocht werden hingegen beispielsweise die bildgewaltigen Naturszenen und die in den Augen der Zuschauer realistische Darstellung der überall auf das Smartphone starrenden "Smombies". Auch die Szene mit Kranfahrer und Baby wird mehrfach erwähnt. Hier scheint die Werbung den emotionalen Nerv der Zuschauer zu treffen. Die Kernbotschaft wird gut verstanden: "Überall und jederzeit Netz", beziehungsweise "schnelles Internet" werden genannt. Vereinzelt taucht auch der alte Slogan "O2 can do" auf, während der neue Slogan nicht ein einziges Mal korrekt wiedergegeben wird.

Der O2-Spot setzt gekonnt Szenen des digitalen Alltags ein, um gepaart mit beeindruckenden Landschaftsbildern den Zuschauer direkt anzusprechen und zu begeistern. Dies gelingt bis zum Moment des Brandings, wenn dem optisch fulminanten Finale eine im cineastisch aufgebauten Spotkontext verhältnismäßig lahme Produktinformation hinterhergeschoben wird. Hier verschenkt der Spot wahrscheinlich viel Imagepotenzial für die Marke, welches, den negativen Äußerungen zu O2 in den offenen Nennungen nach, für diese wichtig ist.

Sinnvoller wäre es gewesen, das Branding vor die Erklärung zu setzen oder den gesamten Erklärungsteil zumindest in der Frühphase der Kampagne radikal einzukürzen, um den vollen Image-Impact transferieren zu können. Insgesamt ist Kolle Rebbe hier ein schöner und unterhaltsamer Spot gelungen. Ob die Kampagne tatsächlich etwas am Bild der Marke beim Verbraucher ändern kann, bleibt zu hoffen.

Die vollständige Kolumne finden Sie hier.

Bild: dpa